© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Zögerliche Trennung vom Prestigeposten
Vor zwanzig Jahren wurde die britische Rheinarmee aufgelöst / Der endgültige Abzug wird bis 2020 dauern
Mario Kandil

Schon nach dem Ersten Weltkrieg unterhielt Großbritannien Besatzungstruppen in Deutschland: Auf der Grundlage des Versailler Vertrags waren zwischen 1919 und 1930 neben belgischen, französischen und anfänglich auch US-amerikanischen Soldaten solche des Vereinigten Königreichs stationiert. „British Army of the Rhine“ (BAOR) lautete die Bezeichnung für diese Streitkräfte damals und auch nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Einheiten, welche die Briten auf westdeutschem Territorium stationierten, zählten durchaus zu den Eliteverbänden der Armee Ihrer Majestät, und auch daran ließ sich erkennen, welche Bedeutung die Insulaner dem Ziel beimaßen, den niedergeworfenen deutschen Gegner in Schach zu halten. Doch dies war beileibe nicht die einzige Aufgabe der BAOR: Bis die deutsche Bundeswehr aufgebaut war, sollte die BAOR innerhalb der Nato als Großbritanniens „Festlandsdegen“ Norddeutschland gegen einen stets drohenden Angriff des Warschauer Pakts halten. 1954 war die Stärke der BAOR auf die Zahl von vier Divisionen mit 75.000 Soldaten festgelegt worden, doch wollte sich die britische Regierung später nicht länger auf eine genaue Zahl verpflichten lassen.

Den Standort Deutschland ließ man sich einiges kosten

Schon im Jahr 1958 betrug die Sollstärke der Rheinarmee bloß noch 55.000 Mann, und nach dem Abflauen der Berlin-Krise 1961 wurde sogar eine Rheinarmee von nur noch 40.000 Mann angestrebt. Mit ihrer Abmagerung schwand auch die militärische Schlagkraft der BAOR, doch mehr als das störte Britanniens Öffentlichkeit deren schwindendes Prestige: Nach der Umgliederung der Nato-Streitkräfte im Mittelabschnitt würden neben den britischen Verbänden schließlich auch deutsche stehen, und irgendwann würde wohl auch ein Westdeutscher über Briten befehlen. Die Daily Mail klagte daher 1962: „Noch kommandiert ein britischer General, aber wie lange noch?“

Derartige Aversionen gegen Großbritanniens alten weltpolitischen Widerpart schliffen sich im Lauf der Zeit jedoch ab. Vielleicht trug dazu auch das im April 1970 zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich geschlossene Abkommen bei, das für die BAOR jährliche deutsche Hilfszahlungen in Höhe von 110 Millionen Mark vorsah. In diesem gemütlichen „Trott“ richteten beide Seiten sich ein, und das Hauptquartier der BAOR (seit 1954 in Rheindahlen bei Mönchengladbach) sah sich vor keine allzu großen Aufgaben gestellt.

Dann brachte das Ende des Kalten Krieges 1989/90 die entscheidende Zäsur, und die Rheinarmee (damals wieder 70.000 Soldaten umfassend) fand sich 1994 offiziell aufgelöst. Doch das war lediglich „Etikettenschwindel“, denn die BAOR (auch „Rhine Garrison“ genannt) ging in jenem Jahr in die „British Forces Germany“ (BFG) über, so daß auch die Briten de facto weiter als Besatzungsmacht auf dem Gebiet ihrer deutschen Alliierten und Freunde agieren – egal, wie dies von offizieller Seite bemäntelt wird.

Laut Ankündigung der britischen Armee plant die Regierung Ihrer Majestät bis 2020 den kompletten Abzug ihrer Streitkräfte aus Deutschland. Bereits geschlossen wurden die Standorte Osna-brück, Celle und Münster sowie der Militärkomplex Rheindahlen, die Grundstücke den bundesdeutschen Behörden übergeben. Derzeit befinden sich die Britischen Streitkräfte in Deutschland an folgenden Standorten: In Herford (wo im übrigen auch der britische Soldatensender BFBS sitzt) hat die 1. Britische Panzerdivision, die die BFG befehligt, ihren Sitz. Als Garnisonen gibt es Bergen-Hohne, Gütersloh, Paderborn und Rhein (dort ist das Hauptquartier der BFG angesiedelt). Letztgenannte Garnison wurde im Dezember 2013 gänzlich geschlossen, da das Hauptquartier des Schnellen Eingreifskorps der Nato von Mönchengladbach im Jahr 2010 ins englische Innsworth verlegt worden war.

Ausgehend von der strategischen Sicherheits- und Verteidigungsüberprüfung, die die britische Regierung eingeleitet hatte, kündigte Verteidigungsminister Philip Hammond im März 2013 an, daß die britischen Streitkräfte schneller als geplant aus Deutschland abgezogen werden sollten. Von den damals knapp 16.000 Soldaten der BFG würden 11.000 in Niedersachsen sowie in Nordrhein-Westfalen stationierte Soldaten Ende 2015 wieder in ihrer Heimat sein. Der Restbestand soll bis 2019 zurück im Vereinigten Königreich sein. „Securing Britain in an uncertain world“ („Britannien in einer unsicheren Welt sichern“) – dieses Ziel, das die britische Armee ausgegeben ist, kann mittlerweile also offenbar ohne Truppenstationierung auf deutschem Boden erreicht werden.

Es fällt allerdings auf, daß die britische Regierung mehr als zwanzig Jahre zur Umsetzung dessen brauchte, was der jetzige Verteidigungsminister Hammond „die logische Folge aus dem Ende des Kalten Krieges vor etwa zwanzig Jahren“ nannte. Von größerem Interesse ist bei der Regierung von Premierminister David Cameron inzwischen der finanzielle Aspekt.

Offiziellen Angaben zufolge kostet der Rückzug etwa 1,8 Milliarden Pfund (2,1 Milliarden Euro) – speziell für den Neubau von Unterkünften im Heimatland. Für Familien sind 1.900 Wohnungen vorgesehen, für alleinstehende Soldaten 7.800 Unterkünfte. Durch die Rückholung aller BFG-Soldaten will die Regierung Cameron jährlich an die 240 Millionen Pfund einsparen. Hammond sagte im britischen Unterhaus: „Das Investment im ganzen Land wird wichtige Jobs für die regionale Wirtschaft bringen und einen Schub für die Baubranche.“ Denn all das Geld, das sonst in Deutschland ausgegeben worden wäre, werde in Zukunft in Großbritannien ausgegeben.

Von deutscher Seite gibt es Vorbehalte gegen den Abzug

Über die Frage, ob sich Großbritannien an einer weiteren Nutzung der Truppenübungsplätze Bergen-Hohne und Sennelager beteiligt, ist noch keine Entscheidung gefallen. „Wir überlegen, ein Angebot der deutschen Regierung anzunehmen, einen Truppenübungsplatz weiter zu nutzen, (…) gemeinsam mit der Bundeswehr“, sagte Britanniens Verteidigungsminister Hammond im März 2013. In der Tat kann sich die Bundesregierung offenbar immer noch nicht mit dem Abzug der auf bundesdeutschem Boden stationierten Streitkräfte der Verbündeten abfinden. Das geht wohl auch manchem Bundesbürger ähnlich. Ein Leser kommentierte in der Sächsischen Zeitung Anfang Juli 2013 die Vorstellung, daß „irgendwann gar keine britischen Truppen mehr in Deutschland stationiert sein werden“, als etwas, das ihn sehr befremde. Als in der Westpfalz Geborener und Aufgewachsener habe er die Verbände der Westalliierten nämlich „nicht als Besatzer in der Bundesrepublik angesehen, noch (…) als Beeinträchtigung unserer Souveränität“.

Foto: General Sir William Gurdon Stirling (M.) im Hauptquartier der Britischen Rheinarmee, Mönchenglad-bach im April 1963: „Noch kommandiert ein britischer General, aber wie lange noch?“

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