© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Stalingrad des weißen Mannes
Vor 60 Jahren begann die Schlacht von Dien Bien Phu
Marc Zöllner

Als der 25jährige Franzose Pierre Schoendoerffer sich im März 1954 von der Luftwaffe über dem kleinen Ort Dien Bien Phu im äußersten Nordwesten Indochinas abwerfen ließ, um als Kameramann den Kampf der Kolonialmacht Frankreich gegen vietnamesische Unabhängigkeitskämpfer dokumentarisch festzuhalten, ahnte er nicht, welche Odyssee für ihn beginnen würde.

Über 19.000 französische Soldaten, vorrangig aus Elitedivisionen, aber auch aus Freiwilligen der Fremdenlegion bestehend, sahen sich dort etwa 50.000 Kämpfern der Viet Minh gegenüber. Erst nach 56 Tagen nahm die Belagerung der französischen Bunker ihr Ende, und mit ihr die kolonialen Anstrengungen Frankreichs in Südostasien. Dien Bien Phu wurde zum nationalen Trauma der Franzosen, Schoendoerffer selbst mußte vier harte Monate in vietnamesischen Kriegsgefangenenlagern verbringen.

Vierzig Jahre später begab sich Schoendoerffer erneut auf die Reise nach Vietnam; diesmal, um seine eigene Geschichte zu verfilmen. Doch in Dien Bien Phu wollte er nicht drehen. „Dieser Ort ist heiliger Boden“, gab er später zu Protokoll. Die Schlacht von Dien Bien Phu war in den Neunzigern bereits in Vergessenheit geraten, ihre historische Bedeutung als Anfang vom Ende der Grande Nation aus dem kollektiven Bewußtsein verdrängt worden. Lediglich in den USA, wo man selbst noch mit der Aufarbeitung des eigenen Vietnamkriegs beschäftigt war, sprachen Historiker noch immer respektvoll vom „Stalingrad des weißen Mannes“.

Denn Dien Bien Phu war nicht mehr nur ein tragischer Bestandteil der Geschichte Frankreichs, sondern auch jener der Deutschen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suchten fast 35.000 deutsche Soldaten ihr Heil in der französischen Fremdenlegion. Über 1.600 von ihnen kämpften Seite an Seite mit den Franzosen in Dien Bien Phu. Nur wenige überlebten die Belagerung. Aufgrund der hohen Verluste unter den deutschen Freiwilligen schrieb die französische Presse damals sogar von der „letzten Schlacht der Waffen-SS“; ein Begriff, welcher sich bis heute in Kreisen französischer Fremdenlegionäre hält.

Nahezu unbeachtet von europäischen Medien jährt sich die Schlacht von Dien Bien Phu am 13. März zum 60. Mal. Die vietnamesische Regierung plant eine große Gedenkfeier für die vielen Opfer beider Seiten. Pierre Schoendoerffer wird jedoch nicht an dieser teilnehmen können. Er starb 2012 im Alter von 83 Jahren – am 14. März, auf den Tag genau zu jenem Datum, als er sich 1954 über Dien Bien Phu hatte abwerfen lassen.

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