© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Sterntaler fürs Havelland
Deutschlands dunkelster Ort liegt 80 Kilometer westlich von Berlin – zur Freude von Astronomen und Tourismusmanagern
Bernd Rademacher

Das Westhavelland zwischen Rhinow und Premnitz ist das, was man unter einer strukturschwachen Region versteht. In dem brandenburgischen Landkreis sagen sich Fuchs und Havelschwäne gute Nacht. Die Landschaft ist kaum zerschnitten und nur dünn besiedelt. Auf den über 1.300 Quadratkilometern des Naturparks Westhavelland bleiben Wat- und Wasservögel unter sich. Die wenigen Orte haben wenige Einwohner, aber diese haben viel Zeit. Die demographischen Prognosen sind finster. Doch genau diese Finsternis soll nun in strahlende Anziehung umgemünzt werden ...

Ausgeheckt hat den Plan ein Niedersachse: Andreas Hänel ist Leiter des Planetariums in Osnabrück. Hobby-Astronomen erzählten ihm, daß es im Westhavelland so dunkel sei, daß dort optimale Sternenbeobachtungen möglich sind. Hänel packte seine Meßgeräte ein und fuhr nach Gülpe. Eingeweihte Amateure versammeln sich hier schon länger mit ihren Teleskopen zu „Astrotreffen“. Und tatsächlich: Hänels „Sky-Quality-meter“ ermittelte einen Lichtwert von 21,78. In Großstädten liegt dieser Luminanzfaktor oft über 100. Damit ist Gülpe erwiesenermaßen schwarz wie die Nacht.

Straßenlaternen müssen nach oben abgeschirmt sein

Die Leiterin des Naturparks Westhavelland, Kordula Isermann, war von der Ernennung zum wahrscheinlich dunkelsten Ort Deutschlands entzückt. Die Dame bewies weiblichen Sinn fürs Praktische und stellte bei der Verwaltung einen Antrag auf den offiziellen Titel „Sternenpark“. Zuständig für die Vergabe ist die „International Dark-Sky Association“ (IDA) mit Sitz in Tucson, Arizona (USA). Die Gesellschaft zum Schutz des dunklen Nachthimmels reiste an den Gülper See, um die Erfüllung der Kriterien zu prüfen: Die Milchstraße ist vom Boden mit bloßem Auge als Gebilde aus einzelnen Sternen zu erkennen, nicht bloß als Himmelskörper. Sogar das natürliche Leuchten des Nachthimmels ist wahrnehmbar. Bei der „Lichtverschmutzung“ der meisten Regionen ist das so gut wie unmöglich.

Weltweit gibt es nur 24 solcher Orte, in Europa lediglich acht, unter anderem in den schottischen Highlands und in der ungarischen Puszta. Dunkler als in Gülpe ist es nur noch in Namibia oder in den Anden. Urteil der Kommission: Das Westhavelland darf sich „Erster Sternenpark Deutschlands“ nennen. Fast hätte ausgerechnet die deutsche Hauptstadt den Test vermasselt. Doch der Lichtschein des 80 Kilometer entfernten Berlin ist in Gülpe nicht mehr sichtbar.

Die dunkle Auszeichnung sorgt nun für helle Aufregung. Anwohner fragten verunsichert nach, ob sie ihre Hofleuchten dimmen oder abmontieren müssen. Isermann beruhigt: Eine „Verdunkelungspflicht“ wird es nicht geben. Lediglich die Straßenlaternen müssen nach oben abgeschirmt werden – doch deren Zahl fällt im Landkreis ohnehin nicht ins Gewicht. Erleuchtet sind dagegen die Köpfe der Marketingexperten. So sollen spezielle „Outdoor-Liegestühle“ und Beobachtungskanzeln aufgestellt werden. Die Gastronomen bieten nachtaktiven Sternenguckern ein extraspätes Frühstück.

Die IDA bewirbt das Westhavelland nun offiziell als Reiseziel. Geführte Touren mit Expertenbegleitung und Fernglasverleih stehen bereits auf dem Programm. Ein erhellendes Beispiel dafür, wie abgehängte Regionen ihre Dunkelheit in Markenwert verwandeln können.

Schon vormerken: Das vierte Westhavelländer Astrotreffen (WHAT) findet vom 29. bis 31. August in Gülpe statt.

http://www.darksky.org

http://www.lugv.brandenburg.de/

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