© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Historikers Geschichtenerzählung
Der Althistoriker Christian Meier reflektiert das schwierige Verhältnis zwischen Wissenschaft und persönlicher Deutung
Karlheinz Weissmann

Wenn man später die Frage nach den Namen der bedeutenden Historiker der Nachkriegszeit stellt, wird Christian Meier darunter sein. Einige seiner Arbeiten sind nur in Fachkreisen bekannt, aber die Biographie Cäsars und die Darstellung der Geschichte Athens erreichten ein breites Publikum. Das unterscheidet Meiers Bücher von denen anderer aus der Feder von Historikern. Für seine eigene Disziplin erklärt er das in einem gerade erschienenen Gesprächsband auch damit, daß die Alte Geschichte seit Jahrzehnten in sich selbst versunken sei, im Grunde kein Interesse daran habe, Präsenz und Zustimmung zu gewinnen. Anders Meier, dem es früh darum gegangen ist, jene Kunst zu erlernen, die es erlaubt, die Vergangenheit mit den Mitteln des Schriftstellers wieder zum Leben zu erwecken, ohne ins Romanhafte abzugleiten oder auf das Niveau des Sachbuchautors zu sinken.

Was Meier hier über die Verfertigung seiner Bücher erzählt, ist nicht nur als solches interessant, sondern auch aufschlußreich in bezug auf seine Biographie. Man erfährt einiges über die Herkunft aus dem Rostocker Bürgertum, die Distanz gegenüber dem NS-Regime, die Flucht der Familie beim Einmarsch der Sowjetarmee, die Rückkehr, den Beginn des Studiums, die Beteiligung am antistalinistischen Widerstand und die neuerliche Flucht, um drohender Verhaftung zu entgehen. Der Entschluß, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, schien in den sechziger Jahren nicht vorgezeichnet, aber – das betont Meier mit Nachdruck – die Zeitumstände wie die Zeitatmosphäre waren günstig. Also erhielt er bereits 1966 eine erste Professur in Basel, wechselte nach Köln und kehrte dann nach Basel zurück, um 1976 an die Universität Bochum zu gehen und fünf Jahre später ein letztes Mal einem Ruf, dem nach München, zu folgen.

Basel, Bochum und München waren nicht nur Stationen einer Hochschulkarriere, sie hatten auch symbolische Bedeutung, insofern als Meier Köln verließ, weil ihm die Folgen von ’68 zu viel wurden und das schweizerische Basel ein sicherer Rückzugsort war, ohne daß er deshalb seine Unterstützung des Projekts Gesellschaftsreform und eine gewisse progressive Gestimmtheit ganz verloren hätte. Das erklärte dann den Weg nach Bochum, eine Reformuniversität, in deren Entwicklung Meier gewisse Hoffnungen setzte; Pläne, die auf groteske Weise scheiterten, so daß das stabile München eine angenehme Alternative bot, wo die Verhältnisse – zumal für einen Althistoriker – immer noch komfortabel waren.

Meier deutet solche Aspekte an, vertieft sie allerdings nicht, was gut zu seiner Haltung in politicis paßt. Man kann die einerseits aus dem Habitus der „skeptischen Generation“ erklären, andererseits aus einer an antiken Vorbildern geschulten Neigung zu Distanz und kluger Zurückhaltung.

Daher rührt allerdings auch das Mißverständnis, daß Meier ein „Konservativer“ sei, obwohl er solcher Kategorisierung keinen Vorschub geleistet hat. Das war etwa an seiner Haltung in den öffentlichen Debatten festzustellen, die sich so oder so mit Fachfragen überschnitten: der „Historikerstreit“ von 1986 ff. und der Auseinandersetzung um die Wiedervereinigung. Was die Einheit Deutschlands anbetraf, hat Meier früh deren Notwendigkeit betont, auch das Recht der Nation auf Selbstbestimmung reklamiert. Von Enthusiasmus fand sich allerdings keine Spur, und es klang immer die latente Sorge vor neuen Ausbrüchen an, deren mangelnde Begründung Meier bis heute nicht recht einsehen will.

Diese partielle Blindheit wiegt aber leicht im Vergleich zu der im Fall des „Historikerstreits“. Als Vorsitzender des Historikerverbandes glaubte er sich zu einer Stellungnahme genötigt, die – seinem Amt angemessen – vermittelnd ausfiel. Allerdings waren Inhalt und Wortwahl dann doch so, daß die Nolte-Fraktion brüskiert war. Jetzt wird der Vorwurf an die „Revisionisten“ wiederholt, sie hätten im Grunde kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse gehabt, sondern sich auf eine „verblasene Ausfluchtsuche“ begeben.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Meier glaubt, den „kausalen Nexus“ beiseite schieben und auf der „Einzigartigkeit“ von Auschwitz beharren zu können, beruht aber nicht nur auf mangelnder Kenntnis der Zeitgeschichte, sondern auch auf einer irritierenden Ungenauigkeit der Sprache, deren Genauigkeit er sonst für so wichtig hält. Denn wem ist damit geholfen, wenn zwar die Zwangslagen betont werden, in denen sich die meisten Deutschen zwischen 1933 und 1945 befanden, nur um dann doch summarisch deren Schuld und die Schuld der Nachgeborenen festzustellen? Sicher kann man eigene Lebenserfahrung ins Feld führen und die charakterliche Disposition desjenigen, der stets das Gefühl hatte, „irgendwie durchzukommen“, aber eine wirkliche Entschuldigung ist das nicht. Es bleibt ein Schatten auf dem hellen Bild eines großen Historiographen.

Christian Meier: Der Historiker und der Zeitgenosse. Eine Zwischenbilanz. Siedler Verlag, München 2014, gebunden, 224 Seiten, 16,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen