© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Aus dem Graben an den Sandkasten
Der Historiker Henrik Eberle analysiert über die Biographie Adolf Hitlers die direkten Zusammenhänge zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg
Helmut Roewer

Das Buch nimmt einen speziellen Aspekt des deutschen Diktators in den Blick: seine Tätigkeit als Feldherr und den Weg hierhin. So jedenfalls suggeriert es der Untertitel „Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde“. Doch ganz so simpel geht es nicht zu.

Zunächst lenkt Eberle den Blick des Lesers auf Hitlers vierjährige Erfahrungen als Soldat eines bayerischen Infanterieregiments an der Westfront des Ersten Weltkriegs. Das ist konsequent, vergessen wird hierbei nicht, daß er vor 1914 ein Fahnenflüchtiger der k.u.k. Armee war. Nun als bayerischer Kriegsfreiwilliger war er beim Sturm auf Ypern im Herbst 1914 immerhin tapfer genug, um einer der raren Manschaftsdienstgrade zu sein, die mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurden. Danach kam die lange Periode der durch Verwundungen unterbrochenen Tätigkeit als Meldegänger des Regimentsstabs. 1918 das EK I, in der Tat eine noch größere Rarität für einen Gefreiten, tatsächlich geschehen und keine Nachkriegsdichtung. Schließlich die Gasverwundung mit Lost, die genau das war und nichts anderes, wie vielfach behauptet, nunmehr durch die von Eberle ausgegrabenen Krankenbücher des Lazaretts von Pasewalk nachgewiesen.

Dann nimmt das Buch eine Wendung und zeigt den von seiner militärischen Dienststelle in München mitten im Demobilisierungsgeschäft angeworbenen politischen Schulungsgehilfen, das Wort V-Mann meidet der Verfasser. Gewiß: Hitler sollte nicht spionieren, soweit man weiß, sondern beeinflussen, was jedem Nachrichtendienstler als hohe Schule des Agententums gilt. Hitler soll, nachdem er sich bewährt hat, in der völkischen DAP gezielt mitmachen. So entdeckt er sein Rednertalent, sagt man.

Aus dem weiteren großen Bogen, den Eberle bis zum Kriegsentschluß von 1939 zieht, sind eigentlich zwei Dinge mit Blick auf das Thema von besonderer Bedeutung: Die Einstimmung der Reichswehrleitung wenige Tage nach der Übernahme der Kanzlerschaft und die Aufrüstung. Am 3. Februar 1933 lud der Chef der Heeresleitung Hammerstein den frischgebackenen Reichskanzler zum Abendesssen in seine Dienstwohnung ein. Dort wollten einige der Spitzenmilitärs dem neuen Mann auf den Zahn fühlen. Nach Tisch hielt Hitler eine Grundsatzrede, die zweifach aufgezeichnet wurde, von Hammerstein selbst und von dessen Tochter Helga, einer Sowjetagentin. Deren Notate hat Eberle in Moskau gesichtet und ausgewertet.

Militärische und wirtschaftliche Aufrüstung wird mit breitem Raum erörtert. Hierbei wird immer wieder eines von Hitlers zentralen Führungsprinzipien in den Blick des Lesers gerückt: die preußische Auftragstaktik – dem Untergebenen das Ziel vorschreiben und ihn den Rest eigenverantwortlich machen lassen. Am Beispiel Speer wird das bis in die Hochphase des Krieges hinein beschrieben. Insofern, so Eberle, vom vielzitierten Führungschaos keine Spur. Die Erfahrungen des Weltkriegssoldaten seien der Auslöser für dieses Tun gewesen. Ein bemerkenswerter Gedanke.

Schließlich die Auslösung des Krieges. Hier bewegt sich das Buch auf den eingeübten Bahnen. Konsequent werden die einschlägigen Autoritäten wie der Brite Ian Kershaw bemüht. Immerhin erlaubt sich Eberle in einer Fußnote die Anmerkung, daß Hinweise auf die britische Vorkriegsindifferenz der Überprüfung bedürftig seien. Auch traut er sich, die polnische Zurückweisung eines Verständigungsangebots über Danzig zu erwähnen, ebenso Warschaus maßlose Überschätzung der eigenen Kräfte. Weiteres darf man in das Fach des Subversiven einordnen, wenn er in diesem Zusammenhang Außenminister Joachim von Ribbentrop kurz vor seiner Hinrichtung unkommentiert zu Wort kommen läßt: Woher nahm England dieses Recht in Osteuropa?

Der Feldherr Hitler schließlich bewegt sich bei Eberle vor allem gestützt auf Militärs, die seine Politik und Kriegführung richtig finden. Ein Füllhorn von Nachkriegslegenden von Leuten, die dem Führer die Meinung gegeigt haben wollen, zieht vorüber, auch Entscheidungen und Fehlentscheidungen für einen Krieg, der nicht gewonnen werden konnte.

Den Schluß bildet ein Kapitel über die Seele des Feldherrn, daran hat auch Clausewitz schon gewerkt, der Rezensent entzieht sich dem und bemerkt zum Schluß, daß ihn etwas mehr militärische Genauigkeit erfreut hätte. Ludendorff als Feldmarschall? Wohl kaum. Als Hitler dem ehemaligen Mitkämpfer aus München von 1923 Ende der Dreißiger eine militärische Aufwertung anbot, lehnte der General der Infanterie a.D. brüsk ab. Besser konnte man das Verhältnis zwischen Herr und Hund kaum ausdrücken. In summa: Henrik Eberles Buch ist lesenswert, selbst für einen, den das Wort „Hitlerbuch“ spontan zögern läßt.

Henrik Eberle: Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, gebunden, 351 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

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