© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Am deutschen Wesen
Der italienische Politologe Angelo Bolaffi rühmt Deutschland als beispielgebendes Vorbild insbesondere für die südeuropäischen Partnerländer
Christian Schreiber

Es erfordert in diesen Zeiten Mut, in Italien ein Buch zu schreiben, das sich positiv mit Deutschland auseinandersetzt. Angelo Bolaffi hat es dennoch getan. „Cuore Tedesco“ (Deutsches Herz) heißt das Werk, welches im Verlag Klett-Cotta erschienen ist. Der Philosoph und Politologe lehrt als Professor an der renommierten Universität La Sapienza in Rom, leitete von 2007 bis 2011 auch das italienische Kulturinstitut in Berlin – war folglich der italienische Kulturbotschafter in Deutschland. Bereits 1995 hatte er mit seinem Buch „Die schrecklichen Deutschen. Eine merkwürdige Liebeserklärung“ auf sich aufmerksam gemacht. Aus der merkwürdigen Liebeserklärung ist rund zwanzig Jahre später eine echte geworden.

In seinem neuen Werk fordert Bolaffi nicht mehr und nicht weniger als eine deutsche Vormachtstellung in Europa. Dies überrascht vor allem in einer Zeit, in der der Ruf der Deutschen in Bolaffis Heimat so schlecht wie selten zuvor ist. „Austerität“ nennt der Autor den Hauptvorwurf der Italiener – „Disziplin, Entbehrung oder Sparsamkeit“ bedeutet dies. Bolaffi hält das Eintreten für Stabilitätsnormen in Europa im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute für dringend nötig. „Mit dem Eintritt in den Euro haben die Italiener Modernisierungschancen und -pflichten erhalten, die sie nicht ausgefüllt haben“, schreibt er und führt weiter aus, daß dies auch zweifelsohne für Spanier und Griechen gelte.

Die Hauptschuld an der Entfremdung zwischen Deutschen und Italienern liege beim ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi: „Er hat eine Entfremdung verursacht, die an einem bestimmten Punkt zu einem irreparablen Bruch zu führen drohte.“ Diese Gefahr sieht er bis heute nicht gebannt. „Es wächst eine Germanophobie, und diese Dämonisierung läßt alte Stereotype und böse Vorurteile wieder emporkommen. Viele glauben, daß, so wie Deutschland in der Vergangenheit versucht hat, seine Dominanz über Europa mit Panzern zu erreichen, sie das gleiche Ziel heute mit der gemeinsamen Währung versuchen.“

Doch gerade diese Stärke, die einige europäische Nachbarn ängstigt, begeistert Bolaffi, der daraus eine automatische deutsche Führungsrolle ableitet. „Deutschland ist nicht nur stark und deshalb zwangsläufig Hauptakteur Europas, sondern es ist auch gut, daß es so ist. Dieses beispielhaft moderne, zivile, selbstreflexive, kreative, ökonomisch besonnene, durch und durch demokratische, in Berlin sogar wilde und junge Land ist die derzeit einzig denkbare Führungsmacht Europas“, lautet seine Lobeshymne, die er auf rund 250 Seiten niedergeschrieben hat.

In „Deutsches Herz“ profiliert sich der Philosoph als profunder Kenner deutscher Zustände. Liebevoll arbeitet er die deutsche Teilung bis hin zur Einheit auf und schreibt, daß Deutschland die Lehren aus seiner Geschichte gezogen habe. Die Einführung des Euro sei zweifelsohne der Preis gewesen, den die Deutschen für die Wiedervereinigung zu zahlen gehabt haben. „Der Euro war von Anfang an ein Mittel, die Macht der alten Mark zu neutralisieren“, heißt es. Doch auch diese „gezielte Schwächung“ habe Deutschland gut überstanden und seinen Nutzen daraus gezogen, so daß die moderne Bundesrepublik heute als Beispiel und Vorbild dienen könne.

Mit seinem Heimatland rechnet er dagegen gnadenlos ab und macht die politischen Verhältnisse für die italienischen Probleme verantwortlich: „Heute wissen wir, daß Italien die Herausforderungen des Euro im Grunde verloren hat. Für diese Niederlage tragen in erster Linie Silvio Berlusconi und seine Partner von der Lega Nord die Verantwortung.“

Doch „Deutsches Herz“ ist beileibe keine Denkschrift über die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik. Bolaffi räumt auch mit dem Vorurteil auf, daß die Deutschen „spröde, technokratisch und langweilig“ seien. Vielmehr sieht er einen modernen, attraktiven Lebensstil, der sich aus postnationaler Lässigkeit und sozialer Verläßlichkeit zusammensetzt. Und für die Hauptstadt hat er noch eine ganz persönliche Liebeserklärung übrig. Berlin sei „die Welthauptstadt der zweiten Moderne“.

Angelo Bolaffi: Deutsches Herz. Das Modell Deutschland und die europäische Krise. Verlag Klett Cotta, Stuttgart 2014, gebunden, 288 Seiten, 21,95 Euro Mißfelder (rechts) und sein Stellvertreter Benedict Pöttering

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