© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

So leben Familien wirklich
Basismaterial für politisches Handeln: Der Familienforscher Stefan Fuchs belegt kenntnisreich den Paradigmenwechsel
Franz Salzmacher

Dieses Buch ist eine Bombe. Es enthält wissenschaftliche Sprengkraft, weil es die Politik decouvriert. Minutiös und detailliert beschreibt der Familienforscher Stefan Fuchs, wie sich die Familienpolitik in den letzten drei, vier Jahrzehnten entwickelte, wandelte und schließlich zum Paradigmenwechsel führte. Aber der an der Bonner Universität bei Tilman Mayer promovierte Politologe und als Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Demographie sowie für das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (www.i-daf.org) arbeitende Wissenschaftler beläßt es auf den 412 Seiten nicht bei der Beschreibung. Er zieht auch die Konsequenz und der Titel des Buches zeigt sie an: „Gesellschaft ohne Kinder – Woran die neue Familienpolitik scheitert“.

Schon die Überschriften der Unterkapitel im ersten Teil lesen sich wie ein Protokoll. „Pronatalismus – vom Tabu zum regierungsoffiziellen Ziel“, „Leitbildwandel – Müttererwerbstätigkeit und Institutionenkindheit“, „Das verabschiedete Leitbild – Familiäre Arbeitsteilung und Familienlohn“, um nur einige zu nennen. Auch in den vier anderen Teilen des Buches räumt der Autor mit erfrischender Unbefangenheit und frei von politisch korrekten Denkbarrieren mit Tabus und Mainstream-Geboten auf, und zwar auf nüchtern-wissenschaftliche Weise. Es findet sich keine Aussage, die sich nicht mit offiziellen Daten (Statistisches Bundesamt, Familiensurvey etc.) belegen ließe.

Und gerade diese unwiderlegbare Weise macht das Buch zur gesellschaftspolitischen Bombe. Politiker fänden in diesem Buch reichlich Basismaterial für politisches Handeln. Zum Beispiel, was das bevorzugte Familienmodell der Deutschen ist. Neulich fiel dem Regierungssprecher und versierten Wortjongleur Steffen Seibert die Bemerkung aus dem Mund, man wisse schließlich in der Bundesregierung, daß die traditionelle Rollenverteilung Mann in Vollzeit, Frau in Teilzeit „immer weniger dominant“ sei. Er hätte besser Fuchs gelesen, denn das Gegenteil ist der Fall. Fuchs weist durch einen Vergleich der Mikrozensus-Daten von 1996 und 2012 nach, daß das sogenannte „modernisierte Ernährermodell“ mit einer teilzeiterwerbstätigen Mutter stark an Verbreitung gewonnen habe. Es ist in diesem Zeitraum von dreißig auf rund vierzig Prozent angestiegen. Diese Konstellation (Vater Vollzeit, Mutter Teilzeit) hat das Alleinernährermodell als häufigste Erwerbskonstellation abgelöst.

Dieses traditionelle Ernährermodell ist zurückgegangen, aber noch immer bedeutsam: Mehr als ein Viertel aller Paare mit Kindern unter 18 Jahren folgt diesem Modell. Bei Paaren mit kleinen Kindern unter drei Jahren ist die Nichterwerbstätigkeit der Mutter sogar noch die Regel. Dem von der Politik favorisierten „egalitären Doppelverdienermodell“, in dem beide Partner in Vollzeit erwerbstätig sind, folgen dagegen nur etwa 14 Prozent der Familien. Die findet man wohl überdurchschnittlich in Politik und Medien. Insgesamt aber ist ihr Anteil nicht etwa gestiegen, sondern im Gegenteil deutlich zurückgegangen, und das trotz der als so erfolgreich propagierten Maßnahmen wie Elterngeld und Krippenbetreuung.

Die Wirklichkeit ist einfach: Frauen arbeiten in Teilzeit, weil sie Kinder betreuen, ältere Angehörige pflegen, sich um ihre Familie kümmern wollen. Wie der Mikrozensus zeigt, ist das Fehlen von Vollzeitstellen nur für eine Minderheit (7 Prozent) der Grund ihrer Teilzeiterwerbstätigkeit, die große Mehrheit (75 Prozent) gibt dafür familiäre Gründe an. Ganz anders sieht es bei Männern in Teilzeit aus: Nur eine Minderheit von ihnen gibt familiäre Gründe für die Teilzeitarbeit an. Wunsch und Leitbild der Männer ist nach wie vor die Vollzeitarbeit, Teilzeitstellen sind für sie nur eine Notlösung. Bei Frauen mit Kindern ist die Teilzeitarbeit dagegen meist das Wunschmodell. Diese Unterschiede will der politisch-mediale Mainstream nicht wahrhaben. Die Wirklichkeit widerspricht der Gender- und Arbeitsmarkt-Ideologie.

Fuchs hält sich an die Wirklichkeit, sofern sie statistisch belegbar ist. Und er erklärt sie auch. Der Reiz des Buches liegt in seiner Sachlichkeit, seiner Wirklichkeitstreue, seinem Berg an empirischem Material, das Fuchs in eine gedankliche Linie bringt und so die politischen Absichten aller etablierten Parteien an ihren Früchten erkennen läßt. Es sind nur Früchtchen. Denn weder führte die „nachhaltige Familienpolitik“ zu höherer Fertilität, noch taugen die mantrahaft vorgetragenen Erklärungen über die sinkenden Geburtenzahlen.

Welche Familienpolitik die diversen Bundesregierungen seit 1998 betreiben, faßt Fuchs auf Seite 306 so zusammen: „Die nachhaltige Familienpolitik betreibt mit der Elterngeldreform, dem Kinderförderungsgesetz und besonders der Unterhaltsreform eine Familienmitgliederpolitik: Sie fördert die finanzielle Unabhängigkeit der Eltern voneinander und statuiert ein Recht des Kindes auf außerfamiliäre Betreuung und Bildung. Der Paradigmenwechsel besteht nun nicht in der Absicht, die einzelnen Familienmitglieder zu fördern: Das Wohlergehen der Kinder und die Teilhabe von Müttern an allen Bereichen des sozialen Lebens gehörte auch in den 1980er und 90er Jahren zu den Zielen des Bundesfamilienministeriums. Es war der Familienpolitik der Kohl-Ära aber – zumindest rhetorisch – auch ein Anliegen, die Familie als Institution zu unterstützen, die als Hort menschlicher Nähe und Geborgenheit in der anonymen und technisierten Gegenwartsgesellschaft und als primärer Ort des Aufwachsens von Kindern galt. Eben dieses Anliegen, die Familie als Institution zu schützen, spielt seit 2002/2003 keine Rolle mehr.“

Die öffentliche Verantwortung für die Kinder wird seither einseitig gefördert, die Kindheit wird institutionalisiert, die materielle Unterstützung von Eltern wird gedeckelt und der erbitterte Kampf um das Betreuungsgeld zeigt, daß der Paradigmenwechsel sich auch in den Hirnen derjenigen festgefressen und verwurzelt hat, die vom Staat Heil und von Eltern eher Unheil erwarten. Wer für diesen Wechsel und seine Folgen Zahlen, Fakten und argumentative Grundlagen sucht, der muß Fuchs lesen. Sein Buch gehört zweifellos zu den fundiertesten Publikationen über Familienpolitik in Deutschland der letzten Jahrzehnte.

Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert. Verlag Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, broschiert, 412 Seiten, 49,99 Euro

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