© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Alles hört auf Allahs Gesetz
Kompromißlose Vertreter des Islam: Der Journalist Ulrich Kraetzer versucht, dem Phänomen des Salafismus auf den Grund zu gehen
Fabian Schmidt-Ahmad

Männer in orientalischen Gewändern, mit Gebetskappe und Vollbart. Einen Anblick, für den der kulturinteressierte Deutsche in der Vergangenheit noch weite Reisen unternehmen mußte, kann er heutzutage praktisch in jeder größeren westdeutschen Stadt haben. Und täglich werden es mehr, die das Morgenland auf deutschen Straßen sichtbar machen. Wenn jede Religion ihren harten Kern, ihre elitäre Sekte hat, sind das für den sunnitischen Islam wohl jene Strenggläubigen, die in Deutschland Salafisten genannt werden.

Neben dieser fremdländischen Exotik auf dem Bürgersteig gibt es aber auch jede Menge handfester Probleme, durch die der Salafismus in Deutschland in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Dazu gehört die kaum abzustreitende Affinität nicht weniger Salafisten zur terroristischen Gewalt, die im seltsamen Kontrast steht zu deren redundanten Beteuerungen, diese abzulehnen. So hat das Phänomen des Salafismus zu einer Reihe von Publikationen geführt, deren jüngstes Beispiel der Fernsehjournalist Ulrich Kraetzer mit „Salafisten. Bedrohung für Deutschland?“ gibt.

Das Buch vermittelt einen aktuellen Überblick über das in Deutschland tätige Netzwerk. Querverbindungen von islamischen Terrorzellen und der salafistischen Ideologie werden beleuchtet und wichtige Akteure kurz porträtiert. Kraetzer geht dabei weniger einen theoretischen Weg, sondern läßt den einzelnen Anhängern Raum, sich selbst darzustellen. Das hat zwar den großen Vorzug, daß hier anhand konkreter Biographien der Weg in den Salafismus anschaulich wird und man dessen Strahlkraft gerade auf Jugendliche zu begreifen versteht.

An diesem Punkt offenbart das Buch jedoch zugleich eine große Schwäche. Denn bei der konkreten ideologischen Ausleuchtung des Salafismus gerät man an Grenzen. Der von vielen Salafisten stetig wiederholten Behauptung, es gebe so etwas wie den Salafismus nicht, sondern nur den einen Islam, den sie möglichst getreu leben wollen, kann Kraetzer nicht wirklich etwas entgegensetzen. Warum sollte schließlich die vollständige Ausrichtung der eigenen Lebensführung eines Moslems unter Allahs Gesetze kritikwürdig sein?

Was den Salafismus wirklich ausmacht, bleibt bei Kraetzer im Ungefähren. Wesentliches wird bei ihm in einem Nebensatz behandelt. Zur starken Betonung des salafistischen Vordenkers Muhammad Nasiraddin al-Albani (1914–1999) auf die „eigenständige Rechtsfindung“ (Idschtihad) schreibt der Journalist: „Es ist bis heute kennzeichnend für den Salafismus und steht im Gegensatz zu der im sunnitischen Islam bis heute verbreiteten Praxis, einer der vier sunnitischen Rechtsschulen zu folgen.“

Das macht tatsächlich den Salafismus zu einer eigenständigen und in gewisser Hinsicht modernen Bewegung innerhalb des Islams. Nicht in einem tradierten Rezeptionsstrang stehend, der notwendig durch die Jahrhunderte angehäufte kulturelle Einsprengsel enthält, soll aus salafistischer Sicht der Gläubige leben, sondern nur und ausschließlich den islamischen Überlieferungen verpflichtet, in die er eine goldene Zeit des Islams hineininterpretiert. Die Herrschaft der „Altvorderen“ – der Salafiya –, sie allein ist es, die er zur Erlangung seines individuellen Seelenheils anstrebt.

„Sola scriptura“ – der Kampfruf der Reformation gegen die gewachsene Institution der Kirche, man kann ihn tatsächlich bis zu einem gewissen Grade auf den Salafismus übertragen. Mit allen hitzigen, revolutionären Kräften, die derartiges notwendig entfesselt. Nur so kann es beispielsweise passieren, daß in Deutschland geborene und aufgewachsene Jugendliche aus einem türkischen Elternhaus ihren entsetzten Eltern plötzlich unislamisches Verhalten vorwerfen und sich radikalisieren.

Ob Kraetzer diesen zornigen jungen Männern mit seinem dialogorientierten Programm einer „Deradikalisierung“ beikommen kann, darf bezweifelt werden: „Wer sich mit ‘Ungläubigen’ an einen Tisch gesetzt hat und dabei ernst genommen wurde, dem wird es schwerfallen, seine Gesprächspartner als ‘Feinde des Islam’ darzustellen.“ Das dürfte naives Wunschdenken sein.

Daher dürfte der von Kraetzer gegeißelte Lösungsansatz von Abschiebung und Ausbürgerung deutlich wirkungsvoller sein, auch wenn dieses „Gerede“ angeblich „sinnlos“ sei, da es „für einen solchen Versuch (...) ohnehin zu spät“ wäre. Aber mit einer solchen Ansicht zählt man wahrscheinlich bereits zu den „Islamhassern“, von denen Kraetzer gleichfalls berichtet. Dabei muß durchaus gewürdigt werden, daß der Salafismus von seiner Grundbewegung durchaus eine Reformbewegung darstellt.

Nur hatte die Reformation ein Evangelium, auf welches sie sich zurückbesinnen und von dem aus sie die Institution der Kirche kritisieren konnte. Wer dagegen den Islam von den in der Zeit behafteten Elementen befreien will, dürfte Gefahr laufen, irgendwann vor dem Nichts zu stehen. Denn Koran und Sunna, was ist das anderes als Tradition? Die islamischen Fundamentalisten, sie graben an ihrem eigenen Fundament.

Ulrich Kraetzer: Salafisten. Bedrohung für Deutschland? Gütersloher Verlagshaus, Güterloh 2014, gebunden, 288 Seiten, 19,99 Euro

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