© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Weltweite Wiederkehr der Götter
Friedrich Wilhelm Graf besichtigt das Angebot im globalen Supermarkt der Religionen und nimmt einen Trend zum religiösen Fundamentalismus wahr
Felix Dirsch

Friedrich Wilhelm Graf zählt derzeit wohl zu den produktivsten und innovativsten evangelischen Theologen. Er setzt in der Nachfolge Adolf von Harnacks, Ernst Troeltschs, Paul Tillichs oder Trutz Rendtorffs die altehrwürdige Tradition des Kulturprotestantismus in der Gegenwart fort. Diese Denkrichtung, im späten 19. Jahrhundert noch von bürgerlichen Strömungen getragen, erforscht die Veränderung von Religion im Zuge spezifischer Modernitätsprozesse.

Graf schreibt solche Betrachtungsweisen vor dem Hintergrund globaler Umbrüche – weltweite Migration, Internet, Kapitalismus usw. – fort. Eine Fülle von Phänomenen wird angesprochen. Im ersten der acht Abschnitte zeigt der Verfasser die weltweite Ausdifferenzierung größerer Kulte. Nicht zuletzt aus diesem Grund bilden sich mehr und mehr Religionsmärkte, auf denen die „harten Währungen“, die üblicherweise unter dem Oberbegriff „Fundamentalismus“ subsumiert werden, durchaus punkten können. Zu den Neuerungen, die feministische Tendenzen für Theologie und die Kirchen mit sich bringen, zählt „Gendering Religion“. Diese decke nicht nur alte patriarchale Muster auf, sondern verstehe viele Symbole der Bibel neu. Gerade auf das Thema Sexualität in mythischen und biblischen Erzählungen werde so ein anderer Blick geworfen.

Im Vergleich zu den vielfältigen religiösen Aufbrüchen außerhalb Europas wirken die religionspolitischen Verhältnisse auf unserem sehr säkularisierten Kontinent, trotz Migration, eher bieder und beharrend, was besonders für das deutsche Staatskirchenrecht gilt. Welche Dimensionen religiöse Neuorientierungen erreichen können, belegt am besten die Entwicklung in Südamerika. Vor einem halben Jahrhundert noch eine katholische Bastion, können die Pfingstkirchen dort immer mehr Gläubige gewinnen. Faszinierend an Grafs Analysen ist, daß er diese gewaltigen Erfolge teilweise ökonomisch erklärt, wie einst Max Weber die Genese des Kapitalismus aus dem Geist calvinistischer Ethik herausgearbeitet hat. Nicht selten sind es Frauen, die ihre Männer zwingen, zu den „Pentecostals“ zu wechseln, um dort Sparsamkeit in Verbindung mit rigoroser Glaubenspraxis zu erlernen, die in der katholischen Großkirche meist nur auf dem Papier steht.

Auch anderen Beobachtungen des Münchner Emeritus ist Aufmerksamkeit zu schenken. Stellvertretend sind Themen rund um „Intelligent Design“ zu nennen, die in den letzten Jahren in Deutschland heftig debattiert wurden und manchmal sogar auf katholischer Seite – wenn auch verhalten – Zustimmung finden. Daneben wird das facettenreiche Phänomen der „kreationistischen Internationale“ erörtert. Für einen progressiven Theologen wie Graf ist es nicht erstaunlich, daß er „Intelligent Design“ und Kreationismus nicht immer deutlich auseinanderhält. Gleichfalls studierenswert ist seine Interpretation der beiden anscheinend so wissenschaftsfeindlichen, weil antidarwinistischen Deutungsansätze. Wieder hilft Max Weber. Da die moderne Welt aufgrund ihrer Entzauberung viele Sinnerfüllungsansprüche nicht befriedigen kann, braucht es für viele Menschen identitätsstiftende religiöse Verhaltensweisen und Vorgaben, die Orientierung in einer immer orientierungsloseren Welt vermitteln.

Nachdem Graf die Problematik „Heiliger Krieg“ und die der fundamentalistischen Herausforderung abgehandelt hat, behandelt der Epilog die „Zivilisierung der Religionen“. Hier besteht der Verfasser auf den Bruchlinien von christlicher Religion und Demokratie, nicht nur auf jenen von Islam und Demokratie. Der liberale Gottesdenker bevorzugt religiöse Akteure, deren Symbolsprache die „Freiheit des Menschen“ herausstellt. Er weiß freilich, daß aufgrund des ambivalenten Verhältnisses von Gott und Mensch diese eher dünn gesät sind und in den unterschiedlichen Weltreligionen ein solcher Anspruch häufig nur Ausdruck bloßer Hoffnung ist – beileibe nicht nur im Christentum.

Friedrich Wilhelm Graf: Götter global. Wie die Welt zum Supermarkt der Religionen wird.Verlag C.H. Beck, München 2014, gebunden, 286 Seiten, 16,95 Euro

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