© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Der Geist aus der Flasche
Der Internetpionier Jaron Lanier warnt vor der Allmacht von Big Data und fordert ein anderes Modell der Macht über unsere Informationen
Taras Maygutiak

Anfang der siebziger Jahre, als es weltweit gerade einmal eine Handvoll Großrechner mit aus heutiger Sicht nennenswerter Leistung an der Algorithmenfront gab und die Idee des Internets noch völlig in den Sternen stand, da orakelten kühne Phantasten, daß es vielleicht einmal möglich sein werde, in jedem Land der Erde einen Computer zu haben.

Wie rasant die tatsächliche Geschichte der Computerisierung und danach des Internets verlief, ist bekannt. Die Aussagen der Utopisten von damals lassen den Smartphone-Benutzer, der vier Jahrzehnte später beim Cappuccino im Café nebenher seine Mails abruft, schmunzeln oder milde lächeln. Die Erfindungen und Entwicklungen im digitalen Zeitalter gehen jedoch in einem irrsinnigen Tempo weiter und weiter. Was sagen heute Phantasten und Utopisten, die vielleicht gar keine sind?

Vom Optischen her könnte Jaron Lanier einer der Brüder der Kultserie „Die Ludolfs“ oder ein in die Jahre gekommener Heavy-Metal-Musiker sein. Doch der 53jährige Computerwissenschaftler, der an der University of California in Berkeley doziert, gilt als einer der wenigen hundert Protagonisten, die bei der raschen Fortentwicklung des Internets ganz vorne mitmischten. Die Encyclopaedia Britannica nennt ihn als einen der 300 wichtigsten Erfinder der Geschichte.

Seit einigen Jahren weist Lanier jedoch auch auf die Schattenseiten der digitalen Umwälzungen hin. In seinem neuesten Buch „Wem gehört die Zukunft?“ zeigt er auf, wohin die Menschheit im Informationszeitalter abdriften könnte, wenn nicht grundlegende Veränderungen vorgenommen würden. Ist sein Werk ein Sachbuch, Science-fiction, eine philosophische Auslegung oder beschreibt es schlicht die nackte Realität? Von allem etwas, wobei man bei der Lektüre ahnt, daß Lanier sehr genau weiß, von was er spricht.

Und wem gehört die Zukunft nun? Wenn es so weitergeht, Internetriesen wie Facebook und Google, ist sein Fazit. Laniers Erkenntnis ist relativ einfach. Es werden auf jeden Fall diejenigen sein, die die größten Rechner haben. Das Hauptproblem liegt darin, daß die Menschen unvorstellbare Datenmengen freiwillig und umsonst an gigantische Datenspeicher abliefern, klärt er in seinem Buch auf. All die Daten werden verknüpft und analysiert, um die Menschen zu manipulieren und möglichst viel Geld zu verdienen. Big Data, nennt er das.

Den Leuten sei überhaupt nicht klar, welche Gefahr von Big Data ausgehe, mahnt Lanier. Vor allem die Folgen davon nicht. Er, der sich beim Thema Daten und Internet wie ein Fisch im Wasser bewegt, scheint die Dinge weiter zu denken. Er malt ein düsteres Bild, daß vor allem die gesamte Mittelschicht wegzubrechen droht. „Je fortschrittlicher die Technik, desto mehr Tätigkeiten werden mit Informationswerkzeugen erledigt“, begründet er, „daher wird unsere Wirtschaft, je mehr sie sich zur Informationsökonomie wandelt, nur wachsen, wenn wir nicht weniger, sondern immer mehr Informationen zu Geld machen. Aber das tun wir nicht.“

Die Fehlentwicklung nach Lanier: Gängige digitale Konzepte behandeln Menschen nicht als etwas Besonderes und ordnen sie dem kollektivistischen Modell der Schwarmintelligenz unter: Der einzelne wird vielmehr als kleines Rädchen in einer gigantischen Informationsmaschine betrachtet. „Dabei sind wir die einzigen Lieferanten der Informationen und gleichzeitig ihr Bestimmungsort, das heißt, wir geben der Maschine überhaupt erst ihren Sinn“, schreibt er. Und verdient wird eben einseitig bei denen, die über die großen Rechner verfügen.

Der Autor ist aber nicht der große Schwarzmaler und Verbreiter von Unkenrufen. Er wartet mit Lösungsvorschlägen auf, die seiner Meinung nach sehr einfach sind. Der Gedanke dahinter: Wenn im digitalen Zeitalter immer mehr Dienstleistungsbereiche und Wirtschaftszweige wegbrechen, dann müssen die Menschen eben an den Informationen, die sie ins System einspeisen, automatisch mitverdienen. Und das würde sehr einfach mit sogenannten „Zwei-Wege-Links“ funktionieren, ist er überzeugt: „Eine sehr simple Methode, der Input wird honoriert.“

Eine andere Möglichkeit, die Kuh vom Eis zu bekommen, sieht er übrigens nicht. Der Denkfehler bislang sei gewesen, daß „frei verfügbar und umsonst“ demokratisch klinge. Profiteure seien schlußendlich dabei nur die Internetriesen, die die ganzen Informationen analysierten und weiterverkauften. Lanier gibt in seinem Buch wertvolle Einblicke in eine Welt, mit der alle täglich in Berührung sind, die meisten diese aber nicht ansatzweise verstehen.

Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt. Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2014, gebunden, 480 Seiten, 24,99 Euro

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