© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Hilflos in Tripolis
Libyen: Im Kampf gegen Autonomisten, Islamisten und den Staatsbankrott steht die Regierung auf verlorenem Posten
Marc Zöllner

Als die „Morning Glory“ den Hafen von as-Sidr verließ – er liegt an der geographischen Schnittstelle des westlichen Libyen und der nach Autonomie strebenden Provinz Cyrenaika im Osten des Landes –, bahnte sich sogleich ein Seegefecht ungeahnter Natur an. Mehrere Patrouillenboote setzten zur Verfolgung an, umkreisten den Öltanker bei voller Fahrt, beschossen dessen Außenwände und versuchten, das Deck zu entern. Doch die kleineren Boote der libyschen Marine hatten nicht den Hauch einer Chance. Aufgrund des anhaltenden Unwetters wurden sie zurück an die Küste gedrängt, und die „Morning Glory“ entkam in internationale Gewässer.

Voll beladen mit über 234.000 Barrel Rohöl im Wert von 30 Millionen Euro, verschwand das Schiff schließlich vom Radar. Die Drohung der Regierung in Tripolis, den Tanker zur Not auch mit Hilfe der Luftwaffe „in Schutt und Asche zu bomben“, verhallte ebenso wie ein angekündigtes Ultimatum zur Erstürmung des Hafens von as-Sidr, sollten die aus der Cyrenaika stammenden Rebellen diesen nicht binnen zwei Wochen räumen. Erst das Eingreifen von US-Spezialkräften beendete den Coup – offenbarte zudem die Hilfosigkeit der libyschen Regierung.

Minderheit der Kopten gerät zwischen die Fronten

Hilflos mit ansehen zu müssen, wie Piraten auf libyschem Hoheitsgebiet ungehindert regierungseigenes Erdöl verladen, versinnbildlicht, zu welch instabilem Staat sich Libyen entwickelt hat.

Seit der Revolution gegen Muammar al-Gaddafi im Februar 2011 sank der Erdölausstoß Libyens dramatisch. Wurden damals täglich noch rund 1,6 Millionen Barrel gefördert, lag die Tagesproduktion Anfang März dieses Jahres nur noch bei 230.000 Barrel. Für den libyschen Haushalt, der zu 90 Prozent von seinen Erdölexporten abhängig ist, mußte die Regierung allein für das erste Quartal 2014 ein Defizit von über 2,5 Milliarden Euro einräumen. Internationale Analysten schlagen bereits Alarm. „Wenn der derzeitige Trend anhält, wird der libysche Staat bereits 2018 bankrott gehen“, warnt unter anderem der renommierte Ökonom Andrew Bauer von der New Yorker Denkfabrik Revenue Watch.

Aufgrund von Verfassungsstreitigkeiten über eine künftige Verteilung der Gewinne aus dem Ölexport verlor die tripolitanische Regierung überdies die Kontrolle über den Ostens des Landes. In der Cyrenaika, aus der das Gros des raffinierten schwarzen Gold stammt, fordern Rebellen nicht nur einen größeren Anteil an den Handelseinnahmen. Die Gespräche über die Übergabe dreier von den Aufständischen gehaltenen Exporthäfen würden ebenso erst wieder aufgenommen, sobald die Regierung ihre aufmarschierten Truppen aus dem Grenzland zur Cyrenaika zurück in den Westen Libyens beordert hat. „Über diese Bedingung gibt es nichts zu verhandeln“, erklärte selbstsicher auch Abb-Rabbo al-Barassi, der sich kürzlich erst zum Premierminister der Cyrenaika hat ausrufen lassen, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Instabilität des Landes ist Nährboden für islamistische Terroristen. Verbrechen gegen die Minderheit der Kopten mehren sich. Seit Ende Februar wurden bei mehreren Anschlägen mindestens acht christliche Gastarbeiter aus ihren Häusern verschleppt und auf offener Straße ermordet. Ein weiteres Opfer findet sich in den höchsten Ämtern der Regierung von Tripolis: Ali Seidan, seit Oktober 2012 Ministerpräsident des Landes, wurde nach der Affäre um den Öltanker von der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau, dem libyschen Arm der Muslimbruderschaft, per Mißtrauensantrag seines Amtes enthoben und konnte trotz einer rasch verhängten Ausreisesperre gegen ihn nur mit knapper Not ins Exil nach Deutschland fliehen.

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