© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Milliardenpoker um Kiew
Erdgas-Fracking: Im Tauziehen um die Ukraine spielen energiepolitische Interessen der USA und Rußlands eine Schlüsselrolle
Stefan Michels

Die Bilder aus Kiew hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. Anfang November unterzeichnete eine Delegation des amerikanischen Energiekonzerns Chevron in gediegener Atmosphäre einen 10 Milliarden Dollar schweren Vertrag zur Erschließung von ukrainischen Schiefergaslagern. Im Beisein von Präsident Viktor Janukowitsch sicherten sich die Amerikaner für fünfzig Jahre die Rechte an der Ausbeutung des im Westen des Landes gelegenen Oleska-Gasfelds, das mittels der Fracking-Methode ausgebeutet werden soll.

Bereits im Januar waren dem anglo-niederländischen Mineralölkonzern Shell ähnlich voluminöse Förderrechte am ostukrainischen Schiefergasfeld Yuzivska zugesprochen worden. Und mit einem zweiten US-Energieriesen, Exxon Mobil, liefen bereits die Verhandlungen über Explorationen von Gaslagerstätten vor der Küste im Schwarzen Meer.

Wunsch nach Unabhängigkeit von Moskau

Die Vorteile für die Ukraine lagen auf der Hand: steigende Steuereinnahmen für den klammen Staatsapparat und eine Verringerung der chronischen Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten, die das Land bei wiederholten Streitigkeiten mit Moskau über die Lieferbedingungen politisch erpreßbar gemacht hat und schwer auf der ohnehin nicht rosigen Außenhandelsbilanz lastet.

Aber Janukowitsch hatte sich beim steten Lavieren zwischen Rußland und dem Westen verpokert. Sein abrupter Rückzieher vom Assoziierungsabkommen mit der EU trieb Ende des Monats die Opposition in Scharen auf die Straßen der Hauptstadt. Mit Janukowitschs Sturz scheiterte auch Putins Versuch, die prorussischen Kräfte durch großzügige Kredite in zweistelliger Milliardenhöhe an der Regierung zu halten und strategisch an Moskau zu binden. In Putins Konzessionen spiegelte sich die überragende Bedeutung der Ukraine für die Architektur der russischen Außen- und Sicherheitspolitik wieder. Moskau offerierte erhebliche Preisnachlässe auf russisches Erdgas und opferte damit eben jene Gewinnmargen, die es Kiew erst 2009 in einer handfesten Auseinandersetzung abgerungen hatte. Aber auch die Pläne der Amerikaner sind durch die Turbulenzen empfindlich gestört worden, denn ohne politische Stabilität vor Ort ist an eine wirtschaftlich rentable Gasförderung nicht zu denken.

Äußerlich ist der internationale Fokus seitdem vom Maidan auf den Konflikt auf der Krim übergegangen. Es ist in den westlichen Massenmedien wieder die Zeit der Menschenrechtsrhetorik angebrochen. Zyniker aber sagen: Es geht in der Ukraine tatsächlich nicht um Öl, es geht diesmal um Gas.

Fünf Milliarden US-Dollar für eine westliche Ukraine

Die Energieversorgung Europas ist vom russischen Erdgas abhängig. Und die Ukraine ist das Transitland für dieses Gas, das aus den sibirischen Weiten nach Westen herangeführt wird. Laut Internationaler Energieagentur bezogen die Europäer 2013 rund 60 Prozent ihrer Gasimporte aus Rußland, und die Hälfte dieser Menge fließt über Fernleitungen durch die Ukraine. Nur zwei EU-Länder (Dänemark und die Niederlande) produzieren genügend Erdgas für den Eigenbedarf; insbesondere die ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften hängen am russischen Tropf. Der größte Abnehmer von Gazprom ist jedoch Deutschland, das eine Selbstversorgungsquote von gerade einmal 14 Prozent besitzt.

Immerhin hat man in Berlin bereits unter Gerhard Schröder die Notwendigkeit störungsfreier Transportwege erkannt. Die mittlerweile eröffnete Ostseetrasse Nord Stream befördert das Gas auf direktem, unterseeischem Weg von Rußland nach Deutschland. Das verringert allerdings nicht die allgemeine Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischen Erdgaslieferungen. Um diese zu mindern, bedürfte es einer Diversifizierung der Bezugsquellen. Die geplante Transadriatische Pipeline, die kaspisches Gas unter Umgehung Rußlands anzapft, wird aber frühestens 2019 fertiggestellt sein. Russisches Gas bleibt damit für die Bundesregierung vorerst alternativlos, zumal der parallele Ausstieg aus der Atomenergie, den es zu kompensieren gilt, den Spielraum für weitere Umschichtungen im Energie-Portfolio äußerst begrenzt hat. Energiepolitisch sind damit der Kanzlerin trotz aller zur Schau gestellten Resolutheit die Hände gebunden. Berlin und Moskau befinden sich in einem stabilen Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit – Rußland benötigt die Devisen ebenso dringend wie wir den Brennwert.

In dieser Gemengelage ist man nun in Washington auf die Idee verfallen, den neuen Status als Fracking-Weltmacht geopolitisch einzusetzen. Einige Kongreßmitglieder schlagen vor, den beunruhigten Nato-Verbündeten in Osteuropa Flüssiggas mit Tankschiffen zu liefern, um so deren Verhandlungsposition zu stärken. Das Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Mengenbegrenzungen im Vergleich zum Pipelinetransport setzen dieser Strategie jedoch Grenzen.

Im Kiewer Parlament sind die neuen Machthaber mittlerweile damit beschäftigt, die Förderverträge der gestürzten Regierung mit den westlichen Multis auf mögliche Korruptionsfälle zu untersuchen. Gleichzeitig ist man sich bewußt, daß Fracking mittelfristig die Energiesicherheit und damit die politische Selbständigkeit der Ukraine gegenüber dem großen Nachbarn stärken kann. Solange das Land im hohen Maße von russischen Energieimporten abhängig bleibt, bleibt seine Souveränität verletzlich.

Diese Ansicht scheint auch die Europabeauftragte des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, zu teilen. In einer Rede vor der US-Ukraine Foundation in Washington hob Nuland im Dezember hervor, daß die USA seit der Unabhängigkeit der Ukraine über fünf Milliarden Dollar in den Aufbau einer demokratischen Bürgergesellschaft investiert hätten, um das Land an „Europa“ heranzuführen. Die Lobbyisten-Veranstaltung war von Chevron mitorganisiert. Nuland sorgte vor einem Monat für diplomatische Verstimmungen, als sie sich in einem abgehörten Telefonat abfällig über die EU äußerte, der sie offenbar nicht die notwendige Härte für den Umgang mit Putin zutraut. Es liegt der Verdacht nahe, daß jenseits aller demokratischen Rhetorik die USA in der Ukraine-Krise fest die wirtschaftspolitischen Interessen ihrer expandierenden Energiekonzerne im Auge haben. Ziel wird es sein, die neue ukrainische Regierung zur Bestätigung der amerikanischen Energieverträge mit Janukowitsch zu bewegen. Die Herauslösung der Ukraine aus dem Einflußbereich Rußlands und ihre Anbindung an Westeuropa sollen auch der politischen Absicherung dieser Verträge dienen. Im Tauziehen um die Ukraine setzen damit beide Großmächte den Hebel an der energiepolitischen Schwäche des Landes an. Für Moskau steht sogar gleich doppelt viel auf dem Spiel: die Ukraine als wichtiger Abnehmer des russischen Erdgases und ihre Schlüsselrolle als Transitland für die westeuropäischen Märkte. Das droht die Fronten zusätzlich zu verhärten.

In den Chefetagen der protegierten Großkonzerne denkt man jedoch pragmatischer: Während die Politik sich gegenseitig hochschaukelt und vor der gefährlichsten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges warnt, hat Exxon Mobil bereits angekündigt, die Fracking-Pläne vor der ukrainischen Küste bis auf weiteres ruhen zu lassen. Als flexibler globaler Akteur konzentriere man sich jetzt auf den Ausbau von Investitionen in Rußland.

Foto: Chevrons Generalmanager für Europa Derek Magness gratuliert Energieminister Eduard Stawitzki und dem Chef der Aktiengesellschaft „Nadra Ukrayny“ Viktor Ponomarenko im November 2013 zum Abschluß des Schiefergas-Milliardengeschäfts: Im Hintergrund applaudieren der US-Botschafter Jeffrey Payette und Präsident Viktor Janukowitsch (v.l.n.r.)

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