© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Den Überblick verloren
Brot und Zirkusspiele: Warum die Gefängnisstrafe für Uli Hoeneß in keinem Verhältnis steht
Markus Brandstetter

Arthur Schopenhauer schreibt, daß der Anblick fremden Leidens uns Genuß und Befriedigung verschafft und zitiert zum Beweis Verse des römischen Dichters Lukrez, der schrieb: „Es macht uns Freude, am windgepeitschen Meer zu stehen und vom sicheren Ufer aus Matrosen dabei zu begaffen, wie sie in Todesgefahr um ihr Leben kämpfen.“

Schiller bezieht sich auf dieselbe Stelle bei Lukrez, wenn er bemerkt, daß Menschen gerne einem Verbrecher auf dem Weg zur Richtstätte folgten und ein neugieriges Verlangen hätten, Leiden und Qual des Unglücklichen zu sehen. Wenn uns überhaupt etwas hindert, uns an den Leiden und der Demütigung anderer zu ergötzen, sind es einzig Erziehung, Anstand und Würde.

Seit der Zeit Schillers und Schopenhauers sind zweihundert Jahre vergangen. Inzwischen wurden Straßenlaternen, Espressomaschinen und das Internet erfunden, aber an der Natur des Menschen hat sich gar nichts und an seinen Sitten nur wenig geändert. Ja, man hat den Eindruck, daß die öffentliche Demütigung, Leid und Qual anderer Menschen genau wie damals das Hauptvergnügen der Massen darstellen, insbesondere dann, wenn es sich um Prominente handelt.

Immer mehr Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung haben offenbar ein immer stärkeres Verlangen nach „Brot und Zirkusspielen“, nach täglichen Aufregern und andauernden Hetz- und Demütigungskampagnen, ohne Ansehen der Person und ohne Prüfung der Hintergründe – Hauptsache schön saftig, grell und voll süffiger Details.

In diesen Kontext gehört die Berichterstattung im Prozeß gegen den früheren Profi-Fußballer und FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß. Dieser Mann hat in dreißig Jahren aus einem sportlich guten, wirtschaftlich aber eher schlafmützigen Verein ein milliardenschweres Unternehmen und eine Fußball-Weltmacht gemacht. Der FC Bayern München ist nach Einschätzung der britischen Unternehmensberatung Brand Finance die wertvollste Fußballmarke der Welt – vor Manchester United, Real Madrid und dem FC Barcelona, einstigen Angstgegnern der Bayern, die die Münchner inzwischen wirtschaftlich wie sportlich hinter sich gelassen haben. Das Hauptverdienst daran gebührt Uli Hoeneß. Nicht ihm allein, aber ohne seine Power, seinen Ideenreichtum, seine Verhandlungsstärke und seine Managerqualitäten wäre Bayern München heute noch eine ebenso verschlafene und wirtschaftlich unterfinanzierte Bude wie viele andere Bundesligavereine.

Nun hat dieser Uli Hoeneß zwischen 2003 und 2009 geschätzte 50.000 Devisengeschäfte über eine Schweizer Bank abgewickelt. Bei solchen Geschäften wettet man darauf, daß der Tageskurs einer Währung gegenüber einer anderen steigt oder fällt. Dabei kommen komplizierte Hebel-Zertifikate, sogenannte Derivative, zum Einsatz, mit denen man auf einen Schlag viel gewinnen, aber auch alles verlieren kann. Wer ein paar hundert dieser Papiere zu jeder gegebenen Zeit laufen hat, der verliert irgendwann den Überblick. Genau das muß Uli Hoeneß passiert sein.

Nun kann man sagen: Damit hätte er ja nicht spekulieren müssen. Aber wer wirtschaftlich so lange erfolgreich war wie Hoeneß und über einiges an Spielgeld verfügt, dem kann man nicht verdenken, daß er mit vollkommen legalen Instrumenten sein Geld vermehren will – und dabei auch manchmal kräftig draufzahlt, was Hoeneß ja mehr als einmal getan hat. Um es nochmals klar zu sagen: All diese Geschäfte waren vollkommen legal und wurden mit Geld finanziert, das Hoeneß sowieso schon einmal versteuert hatte.

Nur die Gewinne aus diesen Devisentermingeschäften, die hat Hoeneß nicht versteuert, und da liegt der Hund begraben, denn der deutsche Fiskus hält ja gerne zweimal oder auch dreimal beim selben Geld die Hand auf. Sooft einer was verdient, sooft muß er zahlen.

Im Herbst 2013 hat ein Stern-Reporter bei Vontobel, Hoeneß’ Schweizer Bank, recherchiert, worauf die Bank Hoeneß einen Tip gab. Dieser hat dann im Januar Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung gestellt. Und von da an hat man den Eindruck, war Hoeneß nicht optimal beraten. Daß die hinterzogene Summe immer größer wurde, von den erst eingeräumten dreieinhalb Millionen Euro auf 18,5 Millionen und dann sogar auf 27,2 Millionen anstieg und die Verteidigung der Anklage gestattete, den Schlußbetrag festzusetzen, war ein taktischer Fehler ersten Ranges.

Als der Ball einmal rollte, war kein PR-Team zur Stelle, das Hoeneß’ große Leistungen, nicht nur für den FC Bayern, sondern für München und ganz Bayern, sein karitatives Engagement und seine stets erdverbundene, hilfreiche Art, von der viele gar nichts wissen oder wissen wollen, in den Vordergrund gestellt hätte. Von Anfang an hat man das Feld selbstgerechten Sonntagspredigern und den journalistischen Vertretern einer „konservativen Linken“ (Peter Sloterdijk) überlassen, die immer höhere Steuern, immer noch mehr Staat und Transferleistungen über Transferleistungen fordern. Kein Mensch hat laut gesagt, daß bei uns das einkommensstärkste Fünftel der Bevölkerung – also auch Familie Hoeneß – drei Viertel aller Steuern bezahlt, viele Millionen Menschen hingegen überhaupt keine.

Niemand bestreitet, daß Steuerhinterziehung bestraft werden muß, aber die dreieinhalb Jahre Gefängnis, die Hoeneß nun absitzen muß, stehen in keinem Verhältnis zu seiner Schuld, seinen Verdiensten und seinem vergleichsweise untadeligen Leben, geschweige denn zu den oft lächerlichen Strafen, die Leute erhalten, die Banken überfallen oder Menschen auf U-Bahnhöfen ins Koma prügeln oder umbringen.

Foto: Uli Hoeneß am 13. März im Gerichtssaal des Landgerichts München II: Niemand bestreitet, daß Steuerhinterziehung bestraft werden muß

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