© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Die wahre Schönheit bleibt in der Heimat
Kino I: Volker Koepps Dokumentarfilm „In Sarmatien“ folgt den Spuren der Gedichte von Johannes Bobrowski
Sebastian Hennig

Der Mensch ist immer schön, sofern er einem Volk angehört und dieses in einer Heimat lebt. Er ist schön durch seine unverbrüchliche Verhaftung an Ort und Familie. Diese wahre Schönheit bleibt zurück in der Heimat, so wie sich ein Gewand abstreift, das sich in der Türangel verfängt. Das läßt sich bei der Heimkehr nicht geschwind wieder anlegen. Mag es auch eine Weile dauern, zuletzt umfängt es doch wieder eine schöne Gestalt.

Ganz augenscheinlich wird es in Volker Koepps Dokumentarfilm „In Sarmatien“ vorgeführt durch Ana aus Moldawien. Sie hat in Berlin studiert und dreht im heimatlichen Trebuschen bei Kischinau einen Film. Wir begegnen zunächst einer Künstlerin, die mit allen Wassern der Kultursoziologie gewaschen ist. Doch diese seelische Leichenwaschung war etwas verfrüht und letztlich völlig vergebens. Ein Sommer daheim, neben ihrem Bruder oder hinter ihm auf dem Motorrad, wird aus der nervösen Schreckschraube unversehens eine anmutvolle Frau mit einer Ausstrahlung, die geeignet ist, den Jungen der Gegend schlaflose Nächte zu bereiten.

Bündnis gegen die Mißwirtschaft der Demagogen

Doch leider finden die meisten von ihnen kein Brot daheim für sich und ihre gegenwärtigen und künftigen Familien. So wie der Zimmermann, der in Grodno Holzhäuser baut und als einziger Mann dieser Generation im Film zu Wort kommt. Er improvisiert eine Art Kommuniqué, worin er von allen staatlichen Ordnungen in der Gegend dem Großfürstentum Litauen den Vorzug gibt. Überall in Eu-ropa fehlen diese Zimmerleute, Bäcker und Gärtner bei der Regierung, Männer mit Erfahrungen, von denen Ratschlüsse für das in jeder Hinsicht Solide, Wohlgefügte und Gedeihliche zu erwarten wären. Stattdessen haben wir als Funktionäre die Theoretiker der Freiheit und des Wohlstands.

Nirgendwo in Europa ist der Ruf so laut und unüberhörbar wie in Sarmatien, jenem antiken Reich zwischen Weichsel, Wolga, Ostsee und Schwarzem Meer, aber auch Traumland des Lyrikers Johannes Bobrowski (1917–1965). Koepp folgt den Gedichten Bobrowskis und den großen Strömen entlang bis zum Kurischen Haff. Es ist der Ruf nach einem Bündnis der Kunstfertigen, Fleißigen, Mutigen und Gewissenhaften mit den Erben uralten Wissens und vornehmer Herkunft, gegen die Mißwirtschaft der Demagogen, Opportunisten, Funktionäre und Parvenus anzugehen.

Daß auch wir in der westlichen Mitte Europas bei dieser Entscheidung eigentlich längst keine Wahl mehr haben, wird uns durch routinierte Unterhaltung immer wieder vernebelt. Koepps Film, für den er die Republik Moldau, Weißrußland, Litauen und die Ukraine bereiste, lichtet für etwa 120 Minuten diesen bunten Nebel. Es geht um den Fortbestand von allem, was uns wert dünkt. Die feinfühligen Frauen im Film sagen immer wieder, außerhalb Kaliningrads wären die Ortschaften inzwischen noch trostloser als zu Sowjetzeiten: „Die moderne Zeit ist die schwierigste. Sie zerstört irgendwie anders als die Türken und die Russen.“ Oder sie sagen: „Moldawien ist mein Land und ist das schönste Land überhaupt.“

Der Film endet mit Tanja Koepps

Cousine Anja. Die verhaltene Frau arbeitet als Lehrerin und ist zunächst sehr scheu: „Ich bin eigentlich gewohnt, vor Kindern aufzutreten. So komme ich ins Stottern.“ Sie hat studiert, gearbeitet, Kinder bekommen und eine Familie gegründet. Ihr Mann verdient Geld in Spanien. Erst nach sieben Jahren hat sie ihn wiedergesehen. Die Traurigkeit und das Bekenntnis der glühenden Liebe verschönen sie. Um so gewaltiger ist die Tragik jener in Einsamkeit verflossenen Jahre zu spüren.

Auch Tanja, die mit ihrem deutschen Mann und den Kindern in Jena lebt, hört nicht auf, von der Zusammenführung der Familie zu träumen.

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