© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Brücke vieler Völker und Religionen
Germanisch, tatarisch, russisch: Auf der Krim haben über die Jahrhunderte verschiedene Kulturen ihre Spuren hinterlassen
Bodo Bost

Auf der großen Halbinsel im nördlichen Schwarzen Meer sind die drei monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum sehr früh aufeinandergetroffen. Viele Völker, darunter auch die Deutschen, haben die Geschichte der Krim geprägt und dort ihre Spuren hinterlassen.

Bereits in der Antike gehörten große Teile der Krim unter der Bezeichnung Taurien sowohl zum griechischen als auch römischen Herrschafts- und Kulturbereich. Der Legende nach hat später der Apostel Andreas das Christentum auf die Krim gebracht. Damit gehört die Krim zu den ältesten christlichen Regionen. Im 3. Jahrhundert n. Chr. kamen im Zuge der Völkerwanderung auch germanische Goten auf die Krim, die zum Teil bis ins 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Die Hauptstadt des byzantinischen Fürstentums Theodoro, das sich länger als Konstantinopel bis 1475 auf der Krim halten konnte, hatte noch einen gotischen Namen, sie hieß Dori oder Mankup (Mannskopf). Den Goten folgten ab dem 5. Jahrhundert die Hunnen, dann sukzessive die Chasaren, Kumanen und Tataren. Die Krim hatte mit ihren fruchtbaren Steppen und der subtropischen Südküste eine große Anziehung auf die Steppenvölker Asiens. Die Goten hatten bereits unter Bischof Wulfila im 4. Jahrhundert die Bibel in ihre Sprache übersetzt.

Unter Katharina kam die Krim langfristig zu Rußland

Ende des ersten Jahrtausends streckten erstmals die slawischen Rus ihre Fühler in Richtung Krim aus. Fürst Wladimir der Große, der den Kaiser in Byzanz militärisch unter Druck setzte, heiratete 988 eine byzantinische Prinzessin ließ sich taufen. Damit setzte er den Grundstein für die russisch-orthodoxe Kirche. Der Legende nach ließ sich Wladimir von allen Religionen zuvor Gelehrte schicken, und er wählte 987 die beste für sich und sein Volk aus. Dabei entschied er sich letztlich für das Christentum aus Byzanz und erteilte dem moslemischen Gesandten eine Absage mit folgenen Worten: „Der Rus ist des Trunkes Freund, wir können ohne das nicht sein.“

Nach den mittelalterlichen Kreuzzügen entdeckten Kaufleute aus Genua und Venedig die Krim als günstigen Posten für ihre nach Asien reichenden Handelmissionen. Sie gründeten an der Südküste die bis heute bestehenden Städte als Niederlassungen: Cembalo/Balaklava, Caulita/Jalta; Lusta/Alushta, Soldaia/Sudak, Caffa/Feodosia und Vosporo/Kertsch. Über diese Handelsstationen soll im 13. Jahrhundert auch die Pest aus Indien nach Europa gekommen sein. Den Norden der Halbinsel eroberten dagegen die Mongolen der Goldenen Horde.

Seit dem 15. Jahrhundert gaben die aus dem Süden kommenden Osmanen auf der Krim den Ton an und gaben ihr auch ihren heutigen Namen. Das mongolisch-türkische Mischvolk der Krimtataren dominierte fortan als Statthalter der Osmanen das Geschehen. Aus ihrem Khanat unternahmen sie häufige Raubzüge in das ukrainische Binnenland, nach Polen und nach Rußland. Die Raub-, Plünder- und Versklavungszüge der Krimtataren gingen in das kollektive Gedächtnis Rußlands ein. Auch für das Judentum spielte die Krim eine entscheidende Rolle. Im 7. Jahrhundert wurde die Krim für drei Jahrhunderte von dem Turkvolk der Chasaren beherrscht. Dieses Volk war das erste, das in nachbiblischer Zeit als Ganzes das Judentum angenommen hat. Spuren des Judentums sind bis heute in den beiden tatarischen Völkern der Krimtschaken und Karaimen vorhanden, die beide ihr Zentrum auf der Krim hatten, heute allerdings mehrheitlich in Israel leben.

Das unter Peter dem Großen erstarkende Rußland ließ sich diese verlustreichen Raubzüge aus dem Süden nicht mehr gefallen. Seit 1774 herrschte Dauerkrieg zwischen dem Zarenreich und den selbständigen muslimischen Krimherrschaften, die vom Osmanischen Reich unterstützt wurden. Am 8. April 1783, nachdem Fürst Grigori Potemkin die Krim erobert hatte, erklärte Katharina II. „von nun an und für alle Zeiten“ die Krim zum Teil Rußlands. Dafür verliehen schon die Zeitgenossen der Zarin den Titel „die Große“. Noch bevor Rußland den Kaukasus befriedet hatte, hatte sie mit der Krim ein Sprungbrett nach Süden gewonnen. Potemkin gab der neuen russischen Hauptstadt der Krim den Namen: Sewastopolis – Stadt der Majestät. Sie lag direkt neben den Ruinen der einstigen griechischen Hauptstadt der Halbinsel, die Chersones hieß. Mit der Eroberung der Krim wurde Rußland zum Mitspieler nicht nur im Schwarzen Meer, sondern auch im Mittelmeer. Aus dem Besitz der Krim, dem einzigen ehemals byzantinischen Territorium auf russischem Boden, konnte Rußland zudem seinen Anspruch als Schutzmacht der byzantinischen Christen im Osmanischen Reich ableiten.

Krimtataren kehrten Ende der achtziger Jahre zurück

Wie schon in der südlichen Ukraine siedelte Zarin Katharina nach dem Krieg Deutsche an, um die durch Kriegshandlungen menschenleeren Gebiete wieder zu besiedeln. Kolonisten aus Württemberg, Baden, Nassau, Westfalen, Schwaben, dem Elsaß und Bayern folgten bereitwillig dem Ruf. In „Neurußland“ wurden sie vom Militärdienst befreit, bekamen Religionsfreiheit gewährt und hatten das Recht auf eine eigene Kultur, Sprache und Verwaltung. Auf der Krim gründeten sie zwischen 1804 und 1810 acht „Mutterkolonien“: Neusatz (heute Krasnogorskoe), Friedental (Kurortnoe), Rosental (Aromatnoe), Heilbrunn (Privetnoe), Herzenberg (Pionerskoe), Kronental (Kolcugino) und die deutsche Kolonie Sudak nahe der gleichnamigen Festung. Zur größten Siedlung wurde die von Schweizern gegründete Siedlung Zürichtal (Zolotoe Pole). Aus den deutschen Muttersiedlungen gingen viele Bauerndörfer als Tochtergründungen hervor.

Nach 1860, als nach dem Krimkrieg etwa zwei Drittel der Tataren vor allem aus dem Westen und Norden der Halbinsel die Krim Richtung Türkei verließen, kamen viele deutsche Mennoniten, die bereits vorher in anderen Gegenden Südrußlands gesiedelt hatten. Im Jahr 1918 gab es 314 deutsche Siedlungen auf der Krim, mehr als zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche gehörte krimdeutschen Siedlern. Im August und September 1941 wurden ungefähr 50.000 Deutsche, das waren damals acht Prozent der Bevölkerung, noch vor der Ankunft der deutschen Wehrmacht, auf Befehl Stalins von der Krim nach Sibirien, in den Ural und nach Kasachstan deportiert. Etwa 1.000 Krimdeutsche wurden von Krimtataren versteckt.

Das entscheidende Ereignis der Krimgeschichte war der Krimkrieg (1853 bis 1856), der sich eigentlich an dem verweigerten Zugang Rußlands zu den Heiligen Stätten in Jerusalem entzündete. Den daraufhin begonnenen Feldzug Sankt Petersburgs gegen das Osmanische Reich im Balkan wollten die europäischen Mächte Frankreich und Großbritannien sowie Königreich Sardinien durch eine Invasion der Krim stoppen. Dort verhinderte der deutschbaltische Offizier im Dienste des Zaren, Graf Eduard von Totleben (1818–1884) die Eroberung der kriegswichtigen Festung Sewastopol. Er ließ vor den Festungsmauern ein effektives und für die Angreifer unübersichtliches System von Feldschanzen, Batteriestellungen und Schützengräben anlegen, das eine flexi-ble Verteidigung ermöglichte. So kam es bei der Belagerung von Sewastopol zu einer „Vorwegnahme von Verdun“, was die Härte des Kampfes und die Anzahl der Opfer betraf.

Erst im Zweiten Weltkrieg wurde die Krim wieder zum Kriegsgebiet. Nach heftigen Kämpfen um Sewastopol und Kertsch besetzte die Wehrmacht von 1942 bis 1944 die Halbinsel. Der Wiener NSDAP-Politiker Alfred Frauenfeld, nach 1942 in der Militärverwaltung tätig, schlug gar in einer „Denkschrift“ die „Möglichkeit einer geschlossenen Umsiedlung der Südtiroler nach der Krim“ vor, die nach Mitteilung von SS-Führer Heinrich Himmler „vom Führer positiv aufgenommen“ worden sei. Letzterer schrieb im Juli 1942 an Frauenfeld, daß Hitler den Vorschlägen „keineswegs ablehnend gegenübersteht (...), doch herrscht Einigkeit darüber, daß mit der Umsiedlung der Südtiroler erst nach Abschluß des Krieges begonnen werden kann“.

Nachdem die Rote Armee die Krim im Frühjahr 1944 zurückerobern konnte, wurden am 18. Mai 1944 die Krimtataren auf Stalins Befehl wegen ihrer teils tatsächlichen, teils nur behaupteten Kollaboration mit den Deutschen nach Zentralasien deportiert. Etwa die Hälfte der Krimtataren kam dabei ums Leben. Stalin hob zudem die zuvor bestehende Autonomie der Krim innerhalb der Sowjetunion auf. In Jalta auf der Krim fand im Februar 1945 die letzte entscheidende Konferenz zwischen den Alliierten vor Ende des Zweiten Weltkrieges statt; hier wurde Europa neu geordnet. Auch die Ukraine erhielt bei dieser Konferenz, damals noch als Teil der Sowjetunion, ihre heutigen Grenzen. Über die Krim selber wurde auf dieser Konferenz nicht gesprochen. Der aus der Ukraine stammende sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow gliederte neun Jahre später die Krim 1954 der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik an. Anlaß war das 300jährige Jubiläum des Vertrags von Perejaslaw von 1654, in dessen Rahmen sich der von Polen bedrängte ukrainische Kosakenstaat dem Schutz des russischen Zaren unterstellt hatte.

Die Rußlanddeutschen wurden als letztes deportiertes Volk zusammen mit den Krimtataren erst 1967 rehabilitiert, durften jedoch bis 1988 nicht in ihre einstigen Siedlungsgebiete zurückkehren. Seitdem sind die Hälfte der Krimtataren, etwa 250.000 Menschen, aber nur 3.000 Krimdeutsche zurückgekehrt. Während die Tataren mehr als 300 geschlossene Siedlungen errichtet haben, blieben alle Wiederansiedlungsversuche der Krimdeutschen im Planungsstadium stecken, die meisten zogen es vor, direkt weiter nach Deutschland auszureisen. Dennoch entstanden auf der Krim auch wieder sieben deutsche evangelische Gemeinden. Anfang 1992 versammelte sich so die Synode der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU) zu ihrer konstituierenden Sitzung. Die Bayrische Landeskirche ist innerhalb der EKD die Partnerkirche der DELKU.

Foto: Carlo Bossoli, „Kertsch von der Straße zur Festung Jenikale“, 1842: Vor 1914 gehörte den Krimdeutschen Zweidrittel der Landwirtschaftsflächen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen