© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Europa,wir kommen
Ceuta und Melilla: Spanische Exklaven klagen über überfüllte Aufnahmelager / Zehntausende Afrikaner warten vor den Toren
Michael Ludwig

Jeder, der nach Europa kommt, muß zuerst an der Tür klingeln. Das, was gestern nacht passiert ist, kann keinesfalls hingenommen werden – man tritt sie ein und schlägt dann auch noch den Hausmeister nieder.“ Mit diesen pointierten Worten hat der konservative spanische Europa-Abgeordnete Agustín Díaz de Mera den Sturm von rund 150 illegalen Einwanderern kommentiert, die vergangene Woche den sechs Meter hohen Sicherheitszaun im nordafrikanischen Melilla überklettert und teilweise mit Gewalt Zuflucht in der spanischen Besitzung gesucht haben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Armutsflüchtlinge nicht versuchen, auf diese Weise Asyl in Europa zu erhalten.

Was sich gegenwärtig in Melilla und im benachbarten Ceuta, das ebenfalls zu Spanien gehört, abspielt, spottet jeder Beschreibung. In Melilla ist das Aufnahmelager derart überfüllt, daß die Verantwortlichen immer dringendere Appelle an die Regierung in Madrid richten, endlich Abhilfe zu schaffen. Ursprünglich für 490 Personen ausgerichtet, müssen gegenwärtig dort 1.900 untergebracht werden. Vor diesem Hintergrund gleicht der Appell von Díaz de Mera an die Verantwortlichen der Europäischen Union fast wie ein Flehen – er forderte 45 Millionen Euro, „um die Flüchtlinge mit Würde empfangen zu können“.

Spanische Polizei warnt vor Massenanstürmen

Wer es über die Absperrungen geschafft hat, muß sich einem peniblen Verfahren unterziehen, das über seinen Asylantrag entscheidet. Flüchtlinge, die ihre wahre Identität verschleiern – beispielsweise, wenn sie Pässe wegwerfen –, werden auf das spanische Festland gebracht und dort weiter überprüft. Mit einigen Anrainerstaaten bestehen Verträge, die die Herkunftsländer verpflichten, ihre Bürger wieder zurückzunehmen, beispielsweise mit Marokko. Kürzlich trafen sich der zuständige spanische Staatssekretär Francisco Martinez und der marokkanische Innenminister Charki Draiss, um dem entsprechenden Abkommen von 1992 neues Leben einzuhauchen. Sie versuchten zu klären, wie die kriminellen Schleuserbanden, die einen erheblichen Anteil an der illegalen Migrantenflut in Richtung Europa haben, unschädlich gemacht werden können. Ob dies zu einem nachhaltigen Erfolg führen wird, bleibt allerdings abzuwarten. In spanischen Polizeikreisen gibt man sich keinen großen Illusionen hin. „Die kriminellen Organisationen erzielen derart hohe Gewinne, daß es schwer sein wird, sie restlos zu eliminieren. Sie gleichen einer Hydra – wenn man ihr einen Kopf abschlägt, wachsen zwei neue nach“, heißt es dort.

Nach Informationen des Madrider Innenministeriums ist die Gefahr eines neuen, gewaltigen Ansturms nicht hoch genug einzuschätzen. In der Nähe von Melilla, am Monte Gurugu, sollen sich rund 40.000 Flüchtlinge gesammelt haben, die nur auf einen günstigen Augenblick lauern, um loszuschlagen. Weitere 40.000 bis 50.000 stehen in den Ländern südlich der Sahelzone, vor allem in Mauretanien, bereit, um sich auf den Weg zu machen. Wenn die sozialen und politischen Konflikte in dieser Region nicht gelöst werden können, kommt es womöglich zu einer Flüchtlingswelle, die alle bisherigen bei weitem übertrifft, fürchtet man in Madrid. Betroffen wären dann nicht nur Melilla und Ceuta, sondern auch die Kanarischen Inseln, das spanische Festland und die italienischen Küsten.

Foto: Afrikanische Party in Melilla: Freude über die geglückte Überwindung der Sicherheitsanlagen

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