© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Der Flaneur
Automatik will gelernt sein
Bente Holling

Seh’ ich recht? Da kommt mir ein Auto entgegen, mitten auf dem Bürgersteig! Eine Mittelklasselimousine fährt zügig über das Trottoir und nötigt Passanten zum Ausweichen. Die springen verschreckt und mit einem Ausruf, der wie „Huch!“ klingt, zur Seite. Auch eine Mutter mit Kinderwagen muß sich an die Hauswand drängen.

Im Wagen sitzt kein jugendlicher Verkehrsrowdy, sondern ein unscheinbarer, gepflegter Mann mittleren Alters. Als er an mir vorbeirollt, zeige ich ihm einen Vogel und sage laut: „Spinner!“. Er hält abrupt an und senkt sein Fenster herunter. Er schaut mich herablassend an und fragt mit osteuropäischem Akzent: „Chabben Sie ein Problemm?“

Ich antworte: „Ja, mit Ihrem Fahrstil. Sie fahren auf dem Bürgersteig.“ Er läßt sich auf eine Diskussion über die Straßenverkehrsordnung ein. Mehrfaches Hin und Her, warum er denn nicht auf den Bürgersteig dürfe und was eigentlich mein Problem sei.

Der Fahrer schnallt sich gewichtig ab, öffnet seine Autotür und steigt aus.

Dann wird er unverschämt. Ich warne: „He, he, schön aufpassen.“ Er entgegnet, ich hätte selbst aufzupassen, wenn er aussteigen würde. Ich grinse herausfordernd. Er schnallt sich gewichtig ab, öffnet seine Autotür und steigt aus.

Ein paar Passanten beobachten die Szene. Darunter auch die Mutter mit dem Kinderwagen. Sie bleibt in einiger Entfernung stehen und scheint eine sportliche Vorstellung zu erwarten.

Doch es kommt nicht zur Schlägerei, nicht mal zum Geschubse, denn plötzlich fährt sein Auto ohne ihn weiter. Offenbar ist es ein Automatikwagen, und er hat in seiner Erregung vergessen, den Schalter des Getriebes auf die Parkstellung „P“ zu stellen. Der Wagen rollt erstaunlich fix, und er muß wetzen, um ihn einzuholen und hineinzuhechten. Herrlicher Slapstick! Kurz vor dem Mast der Fußgängerampel bringt er das Auto zum Stehen. Ich muß laut lachen.

Ihm ist die Lust am Raufen wohl vergangen; er rollt vom Bürgersteig auf die Straße und braust mit aufheulendem Motor davon. Ich gehe weiter und fühle mich als moralischer Sieger.

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