© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Rüstet wieder auf
Berlin zehrt von seiner Friedensdividende und handelt sicherheitspolitisch verklemmt sowie kurzsichtig
Johannes Meyer

Ausgerechnet jetzt, da sich das Ende der deutschen Beteiligung am afghanischen Bürgerkrieg abzeichnet, die unbequeme Wehrpflicht ausgesetzt ist und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zeigen soll, daß Frauen die wahren Bedürfnisse und Notwendigkeiten des „Unternehmens Bundeswehr“ erkennen, verleibt sich Rußland die Krim ein. Deutschland hat sich dazu klar positioniert: Nach Ansicht der Bundesregierung agiert Rußland völkerrechtswidrig.

Doch wie immer man die Krim-Krise auch bewertet – Berlin wurde verteidigungspolitisch auf dem falschen Fuß erwischt. Bundeswehr und Öffentlichkeit sind voll und ganz auf Auslandseinsätze fern der Heimat eingerichtet, ein „klassischer“ Großkonflikt vor der eigenen Haustür, wie er nun angesichts der Lage in der Ukraine zumindest am Horizont erscheint, war nicht mehr eingeplant. Auch um die vielzitierte „Friedensdividende“ einzustreichen, wurde die Bundeswehr seit 1990 grundlegend umgebaut – und vor allem: abgerüstet.

Vor wenigen Wochen hatten von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck auf der 50. Sicherheitskonferenz in München am Beispiel eines Einsatzes der Bundeswehr in Afrika noch für ein humanitäres Projekt mit militärischer Beimischung geworben. Doch die Beschwerden der europäischen Verbündeten offenbarten rasch, daß Deutschland nicht so schnell wie versprochen liefert und erst recht nicht das, was die Kernkompetenz einer Armee ausmacht: Kampfkraft.

Auch in der aktuellen Krise erweist sich Deutschland nicht unbedingt als ein zu Konsequenzen bereiter Verbündeter, der seinen besorgten Nachbarn im Osten sichtbar zur Seite steht. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Dänemark boten den baltischen Staaten zusätzliche Flugzeuge zum Schutz des Luftraumes an, um die zur Zeit turnusgemäß verantwortliche polnische Luftwaffe zu unterstützen. Verteidigungsministerin von der Leyen geriet dagegen in ein mediales Rückzugsgefecht. Denn ihre Forderung, die Nato müsse deutliche Zeichen an ihrer Ostgrenze setzen, wirft unweigerlich die Frage nach der Entsendung von Truppen und Waffensystemen auf; offenbar eine völlig abwegige Vorstellung, nicht nur im Bewußtsein der Ministerin.

Und natürlich ist für sie auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht kein Thema. Begründet wird dies mit der inzwischen drillmäßig einstudierten Behauptung, im 21. Jahrhundert brauche man kleine und professionelle Streitkräfte. Im historischen Vergleich ist das, was die Russische Föderation jüngst an ihrer Südwestgrenze aufmarschieren ließ, sicher „klein“ zu nennen und die Aktivierung der Wehrpflicht zur Zeit nicht zwingend notwendig. Diesen Schritt jedoch für alle Zeiten kategorisch auszuschließen, zeigt, wie verklemmt deutsche Politiker mit diesem Thema umgehen.

Und wie wurden die vielfachen Entscheidungen zur Reduzierung von Stärke und Fähigkeiten der Bundeswehr – etwa die Auflösung der Heeresflugabwehr – immer auch begründet? Unter anderem damit, daß zehn Jahre Vorwarnzeit vorhanden seien, um sich auf eine direkte Bedrohung in Europa vorzubereiten und gegebenenfalls aufzurüsten. Angesichts der Krim-Krise muß zumindest gefragt werden: Haben diese zehn Jahre nun angefangen, oder sind sie sogar schon abgelaufen? Finanzielle Reserven zum Umsteuern sind jedenfalls kaum vorhanden. Oder glaubt jemand ernsthaft, daß teure Vorhaben wie die Rente ab 63 oder die Rettung bankrotter europäischer Staatshaushalte einer Aufrüstung unserer Streitkräfte geopfert werden?

Immerhin: Die Entscheidung, bei den militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr auf Breite statt auf Tiefe zu setzen, war strategisch klug. So wurde auf radikale Schritte, wie etwa die Kampfpanzer oder Jagdflugzeuge auszumustern und deren Aufgaben im Ernstfall den Verbündeten zu überlassen, verzichtet.

Solche Systeme weiterhin im Arsenal zu haben, erweist sich nun als richtig, auch wenn die Panzer im Zuge der Bundeswehrreform auf 225 Stück reduziert werden sollen. Besonders wenn man eher zu symbolischen Beiträgen in militärischen Krisen neigt, denn inzwischen sind auch deutsche Jagdflieger für das Baltikum im Gespräch; eine hohle Geste zu einem Zeitpunkt, in dem Großbritannien bereits seine Teilnahme an den nationalen Übungen der baltischen Staaten ankündigt. Hier wird deutlich, warum der polnische Außenminister Radosław Sikorski deutsche Zurückhaltung mehr fürchtet als deutsche Hegemonie. Es zeigt sich auch, welche Schimäre die von Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete Strategie der „Anlehnungsmacht Deutschland“ ist, wenn es über friedensmäßige Einsparkooperationen hinausgeht.

Es besteht nämlich ein qualitativer Unterschied darin, ob man ein deutsches Jägerbataillon im beschaulichen Elsaß stationiert oder ein Panzerbataillon in Polen – an der Ostgrenze der Nato. Vor 50 Jahren war das Ziel, alliierte Truppen direkt an der Grenze zum Warschauer Pakt zu haben, um alliierte Solidarität sichtbar zu machen. Und um zu zeigen, daß die Bundeswehr mehr ist als ein bloßer „Zeitlieferant“ zur Vorbereitung der Verteidigung am Rhein.

Welche Schlüsse die Bundesregierung und die Nato auch immer aus der Krim-Krise, Rußlands Interessenwahrnehmung und einer „Rückkehr der Geopolitik“ nach Europa ziehen, eines bleibt auf jeden Fall festzuhalten: Abschreckung muß wieder in jeder Hinsicht glaubhaft sein. Wer dabei auf Atomwaffen zum Selbstschutz verzichtet, muß wenigstens unterhalb dieser Schwelle etwas zu bieten haben. Auf dieser Grundlage muß Deutschland seine Streitkräfte und deren Fähigkeiten einer ehrlichen, ungeschminkten Bestandsaufnahme unterziehen. Als Konsequenz sollte eine partielle Wiederaufrüstung nicht ausgeschlossen bleiben.

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