© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Ohnmacht und Ratlosigkeit
Große Koalition I: Von der Miniaturopposition aus Linkspartei und Grünen ist bislang nicht viel zu hören
Paul Rosen

Die ersten 100 Tage der dritten Regierung Merkel sind vorbei, und auch die Opposition hat Anlaß, Bilanz zu ziehen. Es waren 100 Tage der Ohnmacht und Ratlosigkeit. Zerstritten haben sich Linke und Grüne zudem noch, auch wenn die parlamentarische Erfahrung besagt, daß es keine Koalition in der Opposition gibt.

Einfach ist es für die beiden Nichtregierungsfraktionen im Deutschen Bundestag angesichts der übermächtigen Koalition von CDU/CSU und SPD natürlich nicht. So stehen den 311 Abgeordneten der Union und den 193 der SPD gerade einmal 64 Mandatsträger der Linkspartei und 63 der Grünen gegenüber. Natürlich ist die Opposition in Deutschland viel größer, denn alle vier Fraktionen des Parlaments repräsentieren zusammen gerade noch 59,5 Prozent der Wahlberechtigten, wie die Bertelsmann-Stiftung errechnet hat. Die anderen sind entweder erst gar nicht wählen gegangen oder haben ihre Stimme Parteien gegeben, die an der Fünfprozenthürde scheiterten. „Aus der drastisch schrumpfenden Repräsentanz ergeben sich aus Sicht vieler Wähler ernsthafte Legitimitätsverluste des Parlaments“, warnte die Stiftung.

Auch die parlamentarische Opposition hat ihre Probleme. Aus eigener Kraft können die beiden Fraktionen nicht einmal einen Untersuchungsausschuß einsetzen, sondern benötigen dazu Unterstützung aus dem Koalitionslager. Auch die Debattenkultur leidet unter der übergroßen Koalition: Die Sitzungen des Bundestages sind öde und langweilig geworden. Zwischen stundenlangen Lobeshymnen auf Kanzlerin Angela Merkel und das angeblich so erfolgreiche Wirken der Bundesregierung mischen sich gelegentliche kritische links-grüne Töne. Dies ist das Ergebnis einer Redezeiteinteilung nach Fraktionsstärke, die zur Folge hat, daß den wenigen Rednern der Opposition kaum noch einer zuhört.

Es wäre vermutlich alles noch schlimmer, wenn die Linksfraktion nicht Gregor Gysi als Oppositionsführer aufbieten könnte. Der frühere DDR-Anwalt versteht sich auf Reden mit Witz, Charme und Intelligenz, auch wenn er sich die Argumente zusammenstrickt, daß sich die Dielen des Parlaments biegen. Aber der mit „allen Wassern gewaschene Bierzeltredner für das unterhaltungssüchtige Publikum der Mediengesellschaft“ (Welt am Sonntag) ist die Trumpfkarte der Linken, die außer althergebrachter Umverteilungs- und Verstaatlichungsrhetorik wenig im Angebot hat.

Krim-Krise führte zum Bruch

Damit sind die Linken etwas besser dran als die Grünen, deren neues Führungsduo im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, so etwas wie die Nachlaßverwalter von Renate Künast und Jürgen Trittin sind, die sich nach dem miserablen Ergebnis bei der Bundestagswahl zurückgezogen haben. Trotz vollmundiger Ankündigungen fehlt es den Grünen „an allem, was die Partei einst stark gemacht hat: Biß, Quirligkeit, Leidenschaft und Kreativität“, beschwerte sich Spiegel Online über die Konzeptions- und Ideenlosigkeit der Grünen. Ein Höhepunkt grüner Forderungen in diesem Jahr war die Einführung der 0,0-Promille-Grenze. Damit festigten die Grünen ihren Ruf als Verbots- und Reglementierungspartei, obwohl sie sich noch in ihrer Weimarer Erklärung vom Jahresanfang „als einzige Kraft für Liberalismus und Bürgerrechte im Bundestag“ bezeichnet und angekündigt hatten: „Angesichts der großkoalitionären Sicherheitsdoktrin und bedrohter Privatsphäre wollen wir diese Rolle lautstark wahrnehmen.“ Der erste richtig große Krach im Bundestag wurde von der Koalition selbst ausgetragen. In der Affäre um den ehemaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, der sexuell aufreizende Fotos von Kindern im Internet gekauft haben soll, schoß die geschickt agierende SPD den CSU-Minister Hans-Peter Friedrich wegen des Verdachts des Geheimnisverrats ab. Da die SPD sich ohnehin besser auf Krisenmanagement und Medieninzenierungen versteht, konnte die Opposition hier nicht punkten, zumal die grüne Kritik an Edathy angesichts eigener Verdachtsfälle und der Verwicklung von prominenten Grünen in die Debatte über eine Legalisierung von sexuellen Kontakten mit Kindern wie Daniel Cohn-Bendit, Jürgen Trittin und Volker Beck darin keinerlei Glaubwürdigkeit hatte.

Selbst in einem ureigenen Themenbereich, der Energiewende, kommen die Grünen gegen den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der als Wirtschaftsminister für die Stromversorgung zuständig ist, nicht an. Das grüne Konzept basiert auf Windkraft und Photovoltaik. Erdgaskraftwerke sollen bei Dunkelheit und Windstille einspringen. Da dieses Erdgas überwiegend aus Rußland kommen muß, stehen die Grünen seit Beginn der Krim-Krise vor dem Scheitern ihrer energiepolitischen Vorstellungen. Die Krise hat die alte Erfahrung bestätigt, daß man sich nicht zu sehr in die Abhängigkeit von einem Lieferanten begeben soll.

Die Krim-Krise führte zudem zu einem Bruch zwischen Linken und Grünen, weil die Grünen sich strikt auf EU- und Nato-Linie begaben, während die Linke wenig überraschend das hohe Lied auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sang. „Ich persönlich muß mir von Linksparteimitgliedern seit Wochen anhören, ich sei auf dem rechten Auge blind, daß die Grünen der ‘rechte Rand’ des Bundestages seien. Das ist weit unter der Gürtellinie“, beklagte sich Göring-Eckardt. „Wir sind nicht glücklich, daß sich die Opposition gegenseitig so sehr angreift“, räumte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping ein.

Aber die Krim-Krise wird vorübergehen, und dann werden auch Linke und Grüne wieder gemeinsam daran arbeiten, die CDU/CSU aus der Regierungsverantwortung zu drücken und das erste rot-rot-grüne Bündnis zu installieren. Vor diesem Hintergrund wird der Oppositionsauftrag nebensächlich.

Foto: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, Angela Merkel: Nicht mehr als ein Nachlaßverwalter

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