© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Der Unruhestifter
Stefan Niggemeier ist ein Ausnahmetalent / Leider verschwendet er seine Begabung zu oft für dürftige Polemik
Ronald Berthold

Der Mann ist ein eigenes Medium. Stefan Niggemeier braucht keine große Redaktion, damit seine Texte beachtet werden. Er schreibt einen Blog, und für viele Multiplikatoren der Presseszene gehören Niggemeiers dort erscheinende Beiträge zur Pflichtlektüre. Er betreibt das, was Theoretiker im Journalismus „Agenda Setting“ nennen: Er setzt Themen, auf die andere Medien anspringen. Stefan Niggemeier hat Einfluß, und den genießt er.

Die Online-Petition gegen Markus Lanz nach dessen mißglücktem Interview mit Sahra Wagenknecht wäre ohne Niggemeier wohl versandet. Erst als er die Geschichte auf seiner Homepage aufgriff, schrieben auch andere Medien darüber. Folge: Hunderttausende stimmten dafür, den ZDF-Talkmoderator abzusetzen. Und darüber berichteten wiederum die Medien, so daß Niggemeier letztlich eine Lawine in Gang gesetzt hatte.

Solche Erfolge braucht der 44jährige mehr als Geld. Ziemlich uneitel gibt er zu, wie eitel er ist. In der Frankfurter Allgemeinen schrieb er schon vor acht Jahren über sich selbst und das Bloggen: „Für mich ist es eine Sucht. Ein unstillbarer Hunger nach Aufmerksamkeit. Oder, um es positiver und weniger egozentrisch zu sagen: nach Kommunikation.“

Daß er egozentrisch ist, würde der Journalist wohl nicht bestreiten. Diese Eigenschaft ist Schwäche und Stärke zugleich. Er beißt sich fest, scheint unbestechlich und unkäuflich. Niggemeier nimmt keine Rücksicht. Er bleibt dran und verfolgt Vertreter anderer Meinungen dann publizistisch unerbittlich.

Fehler in Berichten, falsche Meinungen

Aktuelles Beispiel: Als Josef Joffe, Herausgeber der Zeit, die Online-Petition gegen Lanz kritisierte und dabei nicht das Wagenknecht-Interview, sondern den Shitstorm als den „eigentlichen Skandal“ bezeichnete, „der nachdenkliche Menschen in die Depression treiben müßte“, wurde Niggemeier fuchsig. Er verglich den Beitrag Joffes mit dem Niveau einer „Kommentardiskussion im Internet“. Der Zeit-Herausgeber hatte die Aktion gegen Markus Lanz mit dem NS-Boykott „Kauf nicht bei Juden!“ verglichen und ergänzt: „Heute ist die Verwünschungskultur digital.“ Niggemeier, der den Ruf einer Edelfeder genießt, blieb in seiner Replik stilistisch allerdings selbst auf Kommentar-Niveau im Internet: „Mir fällt zu diesem Vergleich nichts mehr ein.“ So schreibt auch Mandy aus Hoyerswerda auf der Facebookseite der SuperIllu. Etwas später rappelt er sich und wendet Joffes Worte zur Lanz-Petition gegen den Zeit-Mann: Seine „Dummheit und Gemeinheit“ hätten es in die Welt geschafft.

Die Kompromißlosigkeit, mit der der „Medienkritiker“ es sich mit fast allen wichtigen Medienschaffenden verscherzt, beeindruckt. Er interveniert, wo er fehlerhafte Berichterstattung oder falsche Meinungen wittert. Für die FAS leitete er einst das Medien-Ressort, bis Mitte vergangenen Jahres schrieb er als Autor für den Spiegel. Mit beiden Häusern hat er sich zwischenzeitlich überworfen. Für einen freien Journalisten, der sich aus Honoraren finanziert, ein ungewöhnliches Vorgehen. Die Unfähigkeit, einen Weg der Mitte zu finden, ohne verbrannte Erde zu hinterlassen, könnte für ihn in einer Branche, die aus Kostengründen immer weniger Freiberufler beschäftigt, irgendwann prekär werden. Aber vielleicht reicht ihm der Ruhm als Themensetzer. Er lebt und arbeitet nach dem Motto: „Viel Feind, viel Ehr‘“.

Zumindest mit den Frankfurtern scheint er wieder ins reine gekommen zu sein. Kürzlich veröffentlichte er im Medienteil der Zeitung einen größeren Bericht über sinnlose Liveticker im Netz, vor allem über den Michael-Schumacher-Newsticker, der zeitweise erstaunlich wenig zu berichten hat und Nicht-Nachrichten zu Nachrichten macht.

Als besondere Feinde hat er sich den konservativen Ex-Spiegel- und jetzigen Springer-Redakteur Matthias Matussek sowie den unkonventionellen Freigeist Harald Martenstein von Zeit und Tagesspiegel ausgeguckt. Sobald die beiden sich äußern, ist Niggemeier da und holt zum Gegenschlag aus. Das wirkt nicht immer souverän und zu oft persönlich motiviert. Es ist dieser Charakterzug – kombiniert mit seinem selbsterklärten Aufmerksamkeitsdrang – mit dem der ansonsten hervorragende Analytiker und Feuilletonist sich vieles verbaut.

Niggemeier veröffentlichte den gekippten „taz“-Artikel

Niggemeier steht gesellschaftspolitisch links. Das dürfte auch eine der Motivationen für die Erfindung von „Bildblog.de“ gewesen sein, in dem er täglich die Berichterstattung von Springers Boulevardblatt online aufs Korn nahm und richtigstellte. Inzwischen hat er bei dem überaus erfolgreichen Webauftritt die Alltagsarbeit in andere Hände gegeben und fungiert nur noch als Herausgeber.

Aber genauso kritisch – allerdings nicht so regelmäßig – geht er mit der ihm politisch nahestehenden taz um. Als dort Chefredakteurin Ines Pohl in letzter Minute die Veröffentlichung eines kritischen Textes über die Pädophilie-Affäre bei den Grünen verhinderte, sprach er von Zensur und zeigte den bereits fertig umbrochenen Artikel in seinem Blog. Er schaffte damit die Öffentlichkeit, die die taz dem Thema verweigern wollte. Die Wirkung von Niggemeiers Beitrag war furios. Der Zensur-Skandal und der nicht gedruckte Text fanden Eingang in alle anderen Medien. Die so viel auf ihre Toleranz und Vielfältigkeit gebende taz stand blamiert da.

Als Enthüller ist Niggemeier in der Medienwelt ein unschlagbares Korrektiv. Sobald er aber politisch wird, hebt er sich von der Masse der Medien, die er kritisiert, nicht mehr ab. Dann verbreitet er denselben Einheitsbrei.

Stefan Niggemeier. Blogger, Medienkritiker. www.stefan-niggemeier.de

 

Intimfeindschaft mit Matussek

Niggemeier pflegt Intimfeindschaften mit diversen Publizisten, darunter etwa Eva Herman („Ich verachte sie“), Vera Lengsfeld („Vermutlich ist es gewagt, ihr mit Logik zu kommen“) oder Kai Diekmann („Wo er arbeitet, werden Fehler gemacht“). Nur selten feuern seine Gegner in dieser Tonart zurück. Eine Ausnahme ist Matthias Matussek, der im Feburar einen Brief in The European veröffentlichte: „Vorweg aber ein paar Fakten, die Ihnen entgangen sind. Ich war nicht nur ‘eine Weile Kulturchef des Spiegel’, das war lange bevor Sie als geduckter Eigenbrötler an Bord kamen und schon nach zwei Jahren zur großen Erleichterung ihrer Kollegen das Weite suchten.“ Matussek bezeichnet ihn als „Denunzianten“ und „Blog-Wart“ und sagt: „Sie argumentieren wie ein Hitlerjunge, dem die bürgerliche Bildung ein Popanz ist; die gute Gesinnung, jetzt nicht die völkische, sondern der derzeit herrschende linke Konsens.“ Es folgen Charakterisierungen als „Kartonschädel“, „verqualmter Brummschädel“ und „aufgeschwemmter Mausepaul“. Niggemeier hat seitdem nichts mehr über Matussek geschrieben.

Foto: Stefan Niggemeier: Der Freiberufler legt sich gerne mit prominenten Kollegen und großen Medienhäusern an

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