© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Ostern steht vor der Tür. Für mich heißt das Karfreitag: „Parsifal“ hören (und sehen) in der Deutschen Oper Berlin. Fünf Stunden lang. An jenem Ort, an dem vor hundert Jahren, im Januar 1914, die erste deutsche „Parsifal“-Aufführung außerhalb Bayreuths stattgefunden hat. Nach dem Willen Richard Wagners und seiner Erben sollte der „Parsifal“ ausschließlich im Bayreuther Festspielhaus aufgeführt werden. Der Urheberschutz für das Werk endete jedoch mit Ablauf des Jahres 1913. Die aktuelle Inszenierung von Philipp Stölzl nun kommt sehr bildreich (und blutig) daher und ist nicht nur deswegen nach ihrer Premiere im Oktober 2012 vielfach kritisiert worden. Zu Unrecht, wie ich finde, nachdem ich die Inszenierung bereits zweimal genossen habe.

Montag, 7. April, 18.33 Uhr: Erstmals in diesem Jahr auf der Straße einen Mann in kurzen Hosen gesehen. Das Grauen beginnt.

Thomas Mann schrieb nach einer „Parsifal“-Aufführung in einem Brief an seinen Schriftstellerkollegen Ludwig Ewers am 23. August 1909: „Obgleich ich recht skeptisch hinging und das Gefühl hatte, nach Lourdes oder zu einer Wahrsagerin oder an sonst an einen Ort suggestiven Schwindels zu pilgern, war ich schließlich doch tief erschüttert. Gewisse Stellen namentlich im III. Akt, die Karfreitagsmusik, die Taufe, Salbung etc., dann aber auch das unvergeßliche Schlußbild – sind bedeutend und durchaus unwiderstehlich (…) Eine so furchtbare Ausdruckskraft gibt es doch wohl in allen Künsten nicht wieder.“

Antwortschreiben des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales zum Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung: „Sehr gehrte Frau ..., Ihr Antrag auf Feststellung nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ist am 24.03.2014 eingegangen und wird unter dem oben angegebenen Geschäftszeichen bearbeitet. (…) Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer ist für sie im Internet unter (hier folgt die Adresse, Anm. tha) abrufbar. Diese Angaben werden monatlich aktualisiert.“ In Deutschland nutzen nach Angaben des Dachverbandes der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom zwar drei Viertel (75 Prozent) aller erwachsenen Bundesbürger das Internet. Bei den Senioren ab 65 Jahren sind es jedoch nur 32 Prozent (Stand: November 2013). Ob der Antragstellerin also mit dem Behördenhinweis auf das Internet gedient ist?

Die Wunde klafft weiter. Es gibt keine Erlösung.

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