© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Mindestlohn
Zu Lasten der Schwachen
Christoph Braunschweig

Die meisten Leute glauben, daß es bisher keinen Mindestlohn gibt. Und sie meinen, daß sich die Lage der Arbeitnehmer verbessert, wenn nun ein branchenübergreifender, flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Beides ist allerdings falsch. Richtig ist nur, daß es bislang keine einheitliche Lohnuntergrenze gibt, die für alle Branchen und Regionen gilt. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen besteht (unter bestimmten Bedingungen) die Möglichkeit anzuordnen, daß alle Unternehmen Tariflohn zahlen. Und davon wurde auch schon oft Gebrauch gemacht. Zudem wurden in den vergangenen Jahren branchenspezifische Mindestlöhne gesetzlich festgelegt.

Viel wichtiger als diese Instrumente ist jedoch der „richterliche Mindestlohn“. Demnach unterstellt das Bundesarbeitsgericht, daß eine Lohnabrede nichtig ist, wenn der vereinbarte Lohn mehr als ein Drittel unter dem branchenüblichen liegt. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, nach Tarif zu zahlen, auch wenn er nicht tarifgebunden ist.

Die Konsequenzen der Mindestlohnregelung: Bei Neueinstellungen in nichttarifgebundenen Unternehmen werden gerade geringqualifizierte Arbeitnehmer künftig nur noch den Mindestlohn erhalten – auch wenn dieser mehr als ein Drittel unterhalb des Tarifniveaus liegt.

In vielen Branchen und Regionen liegen die tariflich festgelegten Löhne und damit auch der „richterliche Mindestlohn“ sogar deutlich über den Mindestlöhnen. Mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns werden die Lohnuntergrenzen einheitlich auf 8,50 Euro je Stunde abgesenkt. Denn die bisherige Rechtsprechung muß dann aufgegeben werden. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Bei Neueinstellungen in nichttarifgebundenen Unternehmen werden gerade geringqualifizierte Arbeitnehmer künftig nur noch den Mindestlohn erhalten – auch wenn dieser mehr als ein Drittel unterhalb des Tarifniveaus liegt. Mitarbeiter, die in solchen Unternehmen schon einen höheren Lohn erhalten, können anders als bisher keine Gehaltserhöhungen mehr erwarten, wenn das Tarifentgelt steigt.

Auch für Arbeitssuchende, die über die Arbeitsagentur vermittelt werden, verschlechtert sich die Situation. Bisher konnte das Angebot einer Arbeitsstelle, für die ein sittenwidrig niedriger Lohn gezahlt werden soll, sanktionslos abgelehnt werden. Künftig werden Arbeitssuchende jede Beschäftigung annehmen müssen, die mit 8,50 Euro je Stunde bezahlt wird.

Der gesetzliche Mindestlohn wird in wirtschaftlich schwachen Branchen und Regionen zu Arbeitsplatzverlust, in wirtschaftlich starken hingegen teilweise zu Lohneinbußen führen. Insgesamt wird den Haushalten Kaufkraft entzogen. Auch Preiserhöhungen infolge gestiegener Lohnkosten in betroffenen Unternehmen senken die Kaufkraft der Konsumenten.

Der Staat erschwert vor allem jungen Leuten und Geringqualifizierten den Zugang zum Arbeitsmarkt. Geringqualifizierte, Teilzeitbeschäftigte und Angestellte in kleinen Unternehmen müssen um ihren Arbeitsplatz fürchten. Viele junge Leute in den neuen Bundesländern werden nicht mehr in Aushilfsjobs arbeiten können. Der gesetzliche Mindestlohn geht also vor allem zu Lasten der sozial Schwächeren. Für sie schränkt sich die Möglichkeit zum beruflichen und sozialen Aufstieg ein. Dadurch vergrößert sich zwangsläufig die Schere zwischen Arm und Reich – dies alles unter dem sakrosankten Label der „sozia­len Gerechtigkeit“!

Das Beispiel der französischen Mittelmeerstadt Marseille zeigt eindrücklich, wie die technokratische Politik des Wohlfahrtsstaates gerade die Probleme schafft oder zumindest verstärkt, die sie verhindern beziehungsweise lindern soll. Während es den meisten Algerienfranzosen in Marseille relativ schnell gelang, dem sozialen Elend durch ihrer Hände Arbeit zu entkommen, scheiterten die meisten der nachrückenden muslimischen Einwanderer an der Hürde des hohen Mindestlohns, der in Frankreich mit derzeit 9,43 Euro pro Stunde etwa 60 Prozent des Medianlohns beträgt. Außer der Schwarzarbeit, dem Drogenhandel und der Geldwäsche hat diese große Gruppe von Migranten kaum eine Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Ohne den hohen flächendeckenden Mindestlohn wäre die Situation wesentlich besser für sie.

Die deutschen Gewerkschaften feiern den Mindestlohn als einen Sieg. Dabei ist es in Wirklichkeit eher eine Niederlage, denn in Zukunft übernimmt der Staat sozusagen das Tarifgeschäft. Im übrigen nimmt der Mindestlohn vielen Geringverdienern jedes Argument, überhaupt noch Gewerkschaftsmitglied zu werden. Warum sollen sie Mitgliedsbeiträge zahlen, wenn der Lohn staatlich festgelegt wird? Jede Gewerkschaft muß sich doch die Frage stellen: Hoffen wir auf den Staat, oder vertrauen wir auf die eigene Stärke? Schließlich bedürfte es keiner Mindestlöhne, wenn es starke Gewerkschaften gäbe.

 

Prof. Dr. Christoph Braunschweig, Jahrgang 1959, studierte Wirtschaftswissenschaften in Freiburg/Breisgau bei Friedrich August von Hayek. Nach mehrjähriger Geschäftsführertätigkeit in der freien Wirtschaft lehrt er seit 2005 an der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg die Theorie der klassisch-liberalen „Hayek-Schule“. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Wohlfahrtsstaat („Korrupt bis ins Mark“, JF 23/13).

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen