© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Unter dem Diktat der Gewinnmaximierung
Medikamentenforschung: Nachfrage nach neuen Wirkstoffen steigt, aber Pharmakonzerne schließen ihre Labore
Christoph Keller

Das marktwirtschaftlich getriebene Modell der Wirkstoffentwicklung sei das beste, das er kenne, aber leider, so klagt Peter H. Seeberger, „ist es nicht gut genug“. Und zwar deshalb, weil es nach Einschätzung des Direktors am Berliner Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in der Pharmaindustrie immer weniger um Gesundheits- als um Gewinnmaximierung gehe (MaxPlanckForschung, 4/2013).

Ursache dieses Prozesses, der die Pharmabranche weltweit in eine „massive Krise“ geführt habe, sei die Tatsache, daß die Entwicklung neuer Medikamente immer riskanter und teurer geworden sei. Heute betrügen die entsprechenden Kosten für ein Medikament oder einen Impfstoff bis zu 1,3 Milliarden Euro.

Konzernstrategen antworten auf diese Kostenexplosion mit der Schrumpfung ihrer Forschungsetats. Denn die Schließung von Zentrallaboren befriedige kurzfristig die Erwartungen der Finanzmärkte. Firmen wie der US-Konzern Pfizer hätten darum seit langem keine eigenen neuen Medikamente offeriert, sondern leben von Zukäufen, weil ihre „Entwicklungspipelines“ leer seien. Auch in Deutschland, seit der Kaiserzeit die „Apotheke der Welt“, müsse die Branchenperspektive als „geradezu prekär“ gelten. Denn hierzulande, in Europa und den USA blicke man zurück auf insgesamt Zehntausende hochqualifizierter Arbeitsplätze, die man dem Shareholder-Value-Prinzip geopfert habe. Statt dessen konzentrieren sich die Unternehmen derzeit auf „Blockbuster drugs“, Medikamente, die mehr als eine Milliarde Euro jährlich einbringen, weil sie eine häufige Krankheit in reichen Industrieländern lindern oder heilen. Dagegen ist etwa die Bekämpfung der Malaria, an der im globalen Süden Millionen leiden (siehe JF 15/14), aus Kostengründen unattraktiv.

Mittel gegen Krankheiten alternder Völker benötigt

Dabei besteht nicht nur jenseits des Äquators, wo Impfstoffe gegen Malaria, HIV/Aids und bakterielle Infektionskrankheiten fehlen, „dringender Handlungsbedarf“. In Europa und Nord­amerika benötige man „essenziell neue Wirkstoffe“ gegen Krebs, Demenz und andere Krankheiten alternder Gesellschaften.

Die Grundlagen- und die angewandte Biomedizinforschung seien für diese Herausforderung gerüstet. Allein Seebergers Arbeitsgruppe entwickelt augenblicklich fünf neue Impfstoffe gegen Tropenkrankheiten. Um sie und eine breite Palette weiterer Produkte zum Einsatz zu bringen, verlangt Seeberger nach staatlicher Unterstützung der industriellen Medikamentenentwicklung. Werde der Steuerzahler an den Gewinnen beteiligt, eröffne sich ein Königsweg, um Hunderttausende Leben zu retten und zugleich einen Innovationsschub für qualifizierte Arbeitsplätze auszulösen.

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