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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/14 / 11. April 2014 Der Flaneur Die gräfliche Villa aus Kaisers Zeiten hatte den Weltkrieg völlig unbeschadet überstanden, nicht aber den architektonischen Amoklauf der siebziger Jahre. Doch die ehrgeizigen Bebauungspläne für das Grundstück wurden nie ausgeführt. Seitdem schlummern die gut fünf Hektar Botanik vor sich hin. Das Betreten ist – wer hätte es gedacht – streng verboten. Doch ich habe ganz zufällig entdeckt, wo der Zaun ein großes Loch hat. Seitdem ist der Park mein geheimes Privatrefugium. Fast jeden Morgen stehle ich mich durch die Lücke und lustwandle auf den überwucherten Spazierwegen. In meiner Phantasie rekonstruiere ich dann das Teehaus auf der künstlichen Insel und überlege, ob sich dort nicht ein paar Pfauen gut machen würden. Stattdessen hackt lediglich ein Specht auf einer toten Platane herum. Doch urplötzlich sehe ich buntes Textil durchs Laubwerk streifen. Fremde! Die Natur hat das Terrain zurückerobert, der ehemalige Park ist eine verwunschene Wildnis. Buchen und Eichen überschatten den Boden. Nur Relikte alter Pracht sind noch zu erkennen: Ziegel der Terrasse, das Ständerwerk der Gräftenbrücke, Rhododendren und Buchsbaumhecken, deren einstige Formation noch zu erahnen ist. Heute nachmittag gehe ich wieder in „meinen“ Park. Doch plötzlich sehe ich buntes Textil durchs Laubwerk streifen. Fremde! Ich bin also nicht der einzige, der das Loch im Zaun kennt. Ich fühle mich ein wenig wie Robinson Crusoe, den das unheimliche Gefühl beschleicht, auf seiner Insel nicht allein zu sein. Freitag? Ich bin ungehalten. Was haben die hier zu suchen? Macht euch vom Acker! Die bunten Klamotten gehören einer Joggerin, die plötzlich im Gebüsch verschwindet. Auf der Insel sitzen zwei Jugendliche und trinken verstohlen Bier. Etwas weiter spielen drei Jungs einen Kampf zwischen Super-Ninjas. Da wir alle dasselbe Verbotene tun, nicken wir uns in stiller Komplizenschaft zu. |