© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Großreinemachen
Berlin: Nach der Räumung des Oranienplatzes herrscht noch keine Normalität
Lion Edler

Kaum etwas erinnert an diesem Sonntag nachmittag daran, daß der Berliner Oranienplatz eben noch Schauplatz eines illegalen Zeltlagers von Flüchtlingen war. Lediglich ein Zettel an dem provisorischen Zaun, der den Platz absperrt, weist darauf hin, daß die Grünanlagen erneuert werden müssen und der Platz daher vorerst nicht betreten werden solle. Ein paar abgewetzte Transparente verkünden einen Hungerstreik von sogenannten „refugees“, also von Flüchtlingen.

Doch vor der Abzäunung des Oranienplatzes haben Polizisten die Stellung bezogen. Denn über die Oranienstraße nähert sich ein Demonstrationszug, der von Schwarzafrikanern angeführt wird. „O-Platz and school are one“, steht auf dem vordersten Transparent: Oranienplatz und Schule sind eins – eine Anspielung auf die Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg, die nach wie vor besetzt ist. Schaulustige Kreuzberger beobachten das Geschehen von ihren Balkonen aus, einige applaudieren.

„Henkels Haus muß aufgeräumt werden“

Über Lautsprecher werden umständlich formulierte Forderungen und Ansichten verkündet. „Jeden Tag, sie verhaften mich“, brüllt der aufgeregte Mann, „Jeden Tag: Anzeige, Anzeige, Anzeige – damit ich aufhöre zu reden.“ Im weiteren wird über das „Recht auf Stadt“ und über den angeblichen Rassismus bei der Berliner Polizei referiert. „Henkels Haus muß aufgeräumt werden!“ fordert ein Schild, das sich ein junger Schwarzer mit Trainingsjacke und Brille um den Hals gehängt hat. Gemeint ist Innensenator Frank Henkel (CDU). Zwischen die Asylanten mischen sich schwarzgekleidete Jugendliche mit Antifa-Emblemen.

Mit der Räumung des Oranienplatzes geht ein 18monatiger, von der Politik geduldeter illegaler Zustand zu Ende (JF 12/14). Nachdem der Berliner Senat den Flüchtlingsforderungen mit umfassenden Sonderregelungen entgegengekommen war, hatten die Flüchtlinge am Dienstag vergangener Woche freiwillig die provisorisch errichteten Hütten am Oranienplatz eingerissen. Bis zum Wochenende harrte eine Schwarzafrikanerin noch auf einer Plantane aus, bis auch sie schließlich durch Zugeständnisse zum Aufgeben bewegt werden konnte.

In der Politik beginnt jetzt der Kampf um die Deutungshoheit. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht sich mit seiner linksliberalen Innenpolitik bestätigt. „Flüchtlingspolitik in Berlin: Augenmaß, Menschlichkeit und klare Regeln“ – so der Titel der Regierungserklärung Wowereits anläßlich der Räumung des Oranienplatzes. Speziell die Erwähnung der „klaren Regeln“ dürfte in den Ohren mancher Berliner wie Hohn klingen. Für den Bürgermeister steht dennoch fest: „Wir haben da in dieser Woche ein gutes Ergebnis erzielt für ein faires, weltoffenes Berlin.“ Die Senatspolitik der „ausgestreckten Hand“ habe sich bewährt. Immerhin findet Wowereit allerdings „ganz offen und auch selbstkritisch“, daß es „kein Ruhmesblatt“ gewesen sei, daß „diese Lage so lange bestand“. Man habe „den Eindruck haben müssen, daß die Behörden einfach wegsehen“.

Für den Berliner Innenpolitiker Robbin Juhnke (CDU) steht fest, daß die Räumung als Verdienst von Innensenator Henkel verbucht werden könne. „Ohne den Vorstoß von Innensenator Henkel hätten die Hütten bis zur Fertigstellung des BER hier gestanden“, erklärte der Unionspolitiker auf seiner Facebook-Seite. Das sahen zwei Mitglieder der Jungen Union Charlottenburg-Wilmersdorf ähnlich, die nach der Räumung spontan den Oranienplatz besuchten und in Anspielung auf Henkel mit einem Plakat und der Aufschrift „Danke Frank!“ Stellung bezogen. „Durch den unermüdlichen Einsatz unseres schwarzen Sheriffs und dank seines beherzten Durchgreifens konnte die gesetzeswidrige Besetzung des Oranienplatzes durch Asylbewerber und Linksextreme nach nur anderthalb Jahren beendet werden“, heißt es dazu auf der Netzseite der JU Charlottenburg-Wilmersdorf. Dies wiederum provoziert in den sozialen Netzwerken des Internets eine Welle des Hohns.

Aktion der Jungen Union stößt auf Kritik

Die Kritiker bezeichnen die Aktion als „geschmacklos“ und halten den JU-Aktivisten einen Mangel an „christlichen Werten“ vor. Böswillige Fotomontagen zeigen die beiden Henkel-Anhänger mit einem Plakat von Adolf Hitler. Die sogenannte „Antifa“ nutzte das Plakatmotiv dazu, um für eine Demonstration in der Nähe von Henkels Wohnhaus zu mobilisieren. Unter dem Motto „Henkel, jetzt reißen wir dir die Hütte ab“ versammelten sich etwa 300 Linksextremisten nahe dem Antonplatz in Berlin-Weißensee.

Wie groß die Wut der Szene über den Verlust des Oranienplatzes wirklich ist, zeigt eine Stellungnahme auf einer linksextremen Internetseite. „Die Hoffnungslosigkeit hat heute den Oranienplatz verwüstet, Biotop unserer Träume. Menschen, die nichts haben sind auf Menschen, die nichts haben, wie Tiere losgegangen. Mit Eisenstangen und Hoffnungslosigkeit im Gesicht“, heißt es dort. Und weiter: „Sie haben uns kaputt gemacht, diese Politiker. Sie haben es geplant und durchgezogen. Sie haben den Faschismus perfektioniert. Eine gewaltsame Räumung durch die Besetzer selbst. Wir haben verloren.“

Foto: Berliner Stadtreinigung säubert den Oranienplatz: Umfassende Sonderregelungen für Flüchtlinge

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