© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Der Fluch der braunen Kohle
Sachsen: In der Lausitz wächst der Protest der Sorben gegen die Ausweitung des Tagebaus
Paul Leonhard

Ich habe mich entfernt. Trotzdem könnte ich nie weggehen. Mich entreißen. Ich möchte wegfliegen, aber ich bleibe.“ So heißt es in einem Gedicht. Geschrieben hat es Benedikt Dyrlich, Sozialdemokrat, sorbischer Poet und Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundes. Als solcher hätte Dyrlich auf der Leipziger Buchmesse, auf der er seinen neuen Lyrikband vorstellte, mit eindringlichen Worten den drohenden Verlust der Heimat beklagen können, den unzureichenden Minderheitenschutz für das sorbische Volk, das Ende der wundersamen Marienquelle. Dyrlich hätte medienwirksam auf die noch offenen Antworten auf seine Briefe an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) aufmerksam machen können. Er hat es nicht getan. Wie die Mehrheit seiner sorbischen Landsleute möchte er keinen lautstarken Disput, glaubt er an die Vernunft der Politiker.

Es ist nicht gut bestellt um die seit Jahrhunderten in der ländlichen Region Ostsachsens beiheimatete katholische Minderheit der Sorben. Zum einen hat sich der schwedische Energiekonzern Vattenfall gegen alle Proteste durchgesetzt. Er darf den Braunkohletagebau Nochten erweitern. Konkret geht es um rund 300 Millionen Tonnen Kohle, die hier bis 2045 gefördert werden sollen. Das Innenministerium in Dresden genehmigte den Braunkohleplan Anfang März. Es begründete seine Entscheidung mit den vergleichsweise niedrigen Kosten der aus heimischer Braunkohle gewonnenen Energie. Vom Wirtschaftsministerium war bereits zuvor die Befreiung des Braunkohlebergbaus von diversen Abgaben bis Ende 2015 beschlossen worden

Das Ja zum Tagebau bedeutet für 1.700 Menschen den Verlust der Heimat. Von der Umsiedlung betroffen sind vor allem die Sorben. Diesen gehört auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich an, der allerdings ein erklärter Förderer des Braunkohleabbaus ist. Für den CDU-Politiker ist die Präsenz eines großen Arbeitgebers in der Region wichtiger als Heimat und die drei sorbischen Dörfer Mühlrose, Rohne und Mulkwitz, die komplett verschwinden werden.

Heiliger Quelle droht Gefahr

Und da ist zum anderen die Stiftung für das sorbische Volk, an deren finanzieller Ausstattung Bund und die beiden Bundesländer Sachsen und Brandenburg gemeinsam sparen wollen. Es geht um eine Million Euro. Dabei hatte Tillich der Domowina, dem Dachverband der 40.000 in Sachsen und der 20.000 in Brandenburg lebenden Sorben, anläßlich deren Jubiläums unlängst eine Million Euro mehr zugesagt. Dyrlich spricht in diesem Zusammenhang von „Ignoranz oder Unkenntnis der Zusammenhänge“, aber auch von „Nachlässigkeit einiger Vertreter im Stiftungsrat“.

Der Dichter aus Bautzen klingt resigniert, wenn er in einem offenen Brief an den Bundeswirtschaftsminister daran erinnert, daß „wir Sorben nichts gegen rabiate Verwüstungen unserer Lebens-, Traditions- und Kulturräume durch die Wirtschaft“ tun können, „da das Bergrecht und andere Gesetze“ die gemeinschaftlichen Grundlagen der Existenz der sorbischen Sprache und Kultur in der Lausitz nicht schützen. Dabei heißt es in der sächsischen Verfassung, an deren Entwurf Dyrlich einst als SPD-Landtagsabgeordneter mitgearbeitet hat: „Der deutsch-sorbische Charakter des Siedlungsgebietes der sorbischen Volksgruppe ist zu erhalten.“

Unter Handlungsdruck wird Sachsen derzeit indirekt durch Brandenburg gesetzt. Dort hat die rot-rote Regierung das Sorben-/Wenden-Gesetz novelliert und auf ein höheres „minderheitenrechtliches Niveau“ gehoben, wie es Heiko Kosel, sorbischer Abgeordneter der Linken im Dresdner Landtag, formuliert. Ab 1. Juni ist nicht nur das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege der sorbischen Identität gesetzlich festgeschrieben, sondern der Domowina wurde das Verbandsklagerecht zugesprochen. Und das sorbische Siedlungsgebiet wird gegen die bergbaubedingte Inanspruchnahme stärker geschützt.

Ähnliches wünscht sich Kosel auch für Sachsen, aber im Wahlprogramm der seit 1990 regierenden CDU kommt allein die folkloristische Seite der Sorben vor. Warum das so ist, weiß Renate Harcke, Referentin für Minderheitenpolitik der Linken in Brandenburg: Es gebe in Sachsen „zu wenig Druck seitens der Sorben“. Deswegen sehe sich die Regierung Tillich nicht genötigt, zu handeln.

Gefahr für das sorbische Kernsiedlungsgebiet droht auch von anderer Seite. Nahe der Wallfahrtskirche Rosenthal will ein Unternehmen nach Kaolin bohren und dieses gegebenenfalls abbauen. Dadurch würde die seit mehr als 660 Jahren für die heilkräftige Wirkung ihres Wassers berühmte Marienquelle versiegen, befürchten die Mitglieder des Vereins „Nasa Knjeni na Lipje“ in Ralbitz-Rosentahl. „So einer Entwürdigung und Vernichtung des heiligen Ortes können wir nicht zustimmen“, heißt es in der Petition des Vereins. Gefordert wird die Aufwertung der Orte Rosenthal, Schmerlitz, Laske, Ralbitz, Naußlitz und Zerna zu einem „religiösen und kulturellen Schutzgebiet“.

Aus Sicht von Umweltschützern wie der Grünen Liga werde im Osten Sachsens „langfristig ein ökologisches Notstandsgebiet organisiert“ mit Auswirkungen selbst auf die Trinkwassergewinnung für Berlin. Die Tagebauerweiterung komme einer „vorprogrammierten Katastrophe für Mensch und Umwelt gleich“, sagt Volkmar Zschocke, Vorsitzender der sächsischen Bündnisgrünen.

„Heilig sind uns unsere Fluren und Dörfer“

Die Energiewirtschaft zerstöre Dörfer und gewachsene Siedlungsräume, die einmalig seien und zum Weltkulturerbe gehören sollten, weiß Benedikt Dyrlich. Davon spricht er aber nicht auf der Buchmesse, sondern daheim in Bautzen mit der Lokalpresse. Er sorgt sich mehr um Buchlesungen, Konzerte und Ausstellungen. So ist der Lyriker traurig, daß das Fest der sorbischen Poesie wohl in diesem Jahr ausfallen wird. Die Tagebaugegner werden am 27. April wieder ihren traditionellen Ostermarsch abhalten. In diesem Jahr führt er von Schleife nach Rohne und steht unter dem Motto „Heilig sind uns unsere Fluren und Dörfer“.

 

Das Volk der Sorben

Neben Friesen, Dänen und den deutschen Roma und Sinti gehören die Sorben zu den vier in Deutschland anerkannten nationalen Minderheiten. Ihnen stehen besonderer Schutz und Förderung durch den Staat zu. Beheimatet ist das rund 60.000 Angehörige zählende westslawische Volk der Sorben in der Ober- und Unterlausitz in Sachsen und Brandenburg. Von ihnen sprechen schätzungsweise 20.000 bis 30.000 noch Sorbisch. In den Kernsiedlungsgebieten ist unter anderem die Zweisprachigkeit von Orts- und Straßenschildern gesetzlich festgeschrieben. Kulturelle Klammer der Sorben ist die Domowina, ein Dachverband, in dem sich zahlreiche sorbische Vereine zusammengeschlossen haben. Prominenter Sorbe ist der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Er gilt als Förderer des Braunkohleabbaus im Lausitzer und Oberlausitzer Braunkohlerevier.

 

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