© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Knapp daneben
Ohne Rausch erwachsen werden
Karl Heinzen

Marlene Mortler ist nicht nur Ehrenbezirksbäuerin in Mittelfranken und Bundestagsabgeordnete der CSU. Im Januar wurde sie auch zur Drogenbeauftragten der Bundesregierung ernannt. Früher hätte man bei solch einer Berufung gesagt: Nun gut, von Cannabis wird sie nichts verstehen, denn das ist halt das Suchtmittel linker Hedonisten. Koks sollte sie kennen, denn in der bajuwarischen Schickeria geht es nicht ohne, sie wird aber ihr Wissen nicht preisgeben. Zum Alkohol dürfte sie ein gesundes Verhältnis haben, sind doch ihre Landsleute als besonders trinkfreudig und trinkfest bekannt.

Heute ticken leider auch in Bayern die Uhren wie im Rest der Republik. Raucher werden im öffentlichen Raum drangsaliert. CSU-Politiker wagen es nicht mehr, durch Überschreiten der Promillegrenze am Steuer beim Wähler zu punkten. In der Werbung prosten sich verhärmte Asketen im Sportdreß mit Erdinger Alkoholfrei zu, um den Eindruck zu erwecken, es ließe sich auch ganz ohne Rausch glücklich leben.

30 Prozent der Jugendlichen trinken nie Alkohol. Vor zehn Jahren war diese Quote noch halb so hoch!

Marlene Mortler kann daher ihrem neuen Amt gerecht werden, ohne sich zu verbiegen. Das Entsetzen, mit dem sie die neuesten Zahlen zum Alkoholkonsum junger Menschen präsentierte, wirkte authentisch. Ihr Appell, es müsse endlich ein Umdenken stattfinden, klang nicht wie ein Scherz.

Tatsächlich trinken junge Menschen immer noch Alkohol und manche manchmal sogar ein wenig zuviel. Das ist aus der Sicht der auf die Disziplinierung Heranwachsender bedachten Phalanx aus Schulen, Arbeitgebern, Polizei, Krankenkassen und Politik unverzeihlich. Wer sich diese Warte nicht zu eigen macht, wird aber ganz andere Trends für alarmierend halten. 30 Prozent der Jugendlichen trinken nie Alkohol. Vor zehn Jahren war diese Quote noch halb so hoch! Die erste Begegnung mit dem Alkohol findet immer später statt. Erst mit durchschnittlich 16 Jahren erleben Jugendliche ihren ersten Vollrausch. Der Kreis, den eine freudlose und leistungsorientierte Gesellschaft um sie schließt, wird enger und enger. Wie sollen sie erwachsen werden, wenn sie die Spielregeln, die man ihnen aufzwängt, nicht brechen?

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