© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Den Kanzler zum Köder gemacht
Vor vierzig Jahren erschütterte die Guillaume-Affäre die Bundesrepublik und zwang Bundeskanzler Willy Brandt zum Rücktritt
Mario Kandil

Heute erscheint es angesichts einer Bundeskanzlerin, die einmal FDJ-Funktionärin war, nur schwer nachvollziehbar, daß vor nun vierzig Jahren die Affäre um einen DDR-Spion in der Nähe des damaligen Kanzlers Willy Brandt (SPD) die alte Bundesrepublik bis ins Mark traf. Doch es war die Zeit des Ost-West-Konflikts, und obwohl die Entspannungspolitik den Kalten Krieg milderte, dauerte er an.

Es stellte keinen Einzelfall dar, daß ein Mitte der fünfziger Jahre aus Ost-Berlin nach Frankfurt am Main umgesiedeltes „Schläfer“-Ehepaar wie Günter und Christel Guillaume unter dem Deckmantel, richtige „Kommunistenfresser“ zu sein, auf dem rechten SPD-Flügel reüssierte. Doch daß dieses Paar so weit kommen konnte, bedeutete für seine Auftraggeber großes Glück. Andererseits war das Rechnen mit dem Genossen Zufall feste Strategie von HVA-Chef Markus Wolf beim Einsatz solcher Schläfer: In bundesdeutschen Organisationen eingeschleust, sollten sie eine Stellung mit Einblick erlangen, um nach deren Erreichen „aufzuwachen“ und die DDR zu informieren.

Die Ungereimtheiten, die dem Agenten Günter Guillaume den Weg ins Kanzleramt bahnten, begannen schon mit der Durchleuchtung durch den zuständigen Abwehrdienst. Trotz Warnungen von Egon Bahr bestätigte das Bundesamt für Verfassungsschutz die verharmlosende Darstellung, die der von Horst Ehmke verhörte Guillaume zu seiner Arbeit für einen Ost-Berliner Verlag Anfang der fünfziger Jahre gab. Exaktere Arbeit und engere Abstimmung zwischen Verfassungsschutz und BND aber hätten den Verdacht gegen ihn bekräftigt und seine Einstellung verhindert.

So wurde Guillaume durch Empfehlung von Frankfurter SPD-Granden wie Georg Leber, dem späteren Bundesverteidigungsminister, 1969 neuer Leiter der Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt und stieg letztlich bis ins persönliche Büro von Bundeskanzler Willy Brandt auf. Dort war Guillaume seit Beginn des Wahlkampfs 1972 als einer von nur drei Mitarbeitern als Referent für die „Verbindung zu Partei und Fraktion“ zuständig und begleitete Brandt im Wahlkampf.

Genscher spielte in der Affäre verhängnisvolle Rolle

Fahrlässig und verantwortungslos aber reagierte das Kanzleramt, als der Verfassungsschutz in Person von Präsident Günther Nollau endlich Guillaume verdächtigte und den Bundesinnenminister, Hans-Dietrich Genscher (FDP), am 29. Mai 1973 informierte. Genscher kam indes zusammen mit Nollau auf die haarsträubende Idee, Guillaume auf seinem Posten zu belassen und ihn so unauffällig wie möglich zu beobachten. Tags darauf stimmte – aus heutiger Sicht unfaßbar – auch der Kanzler der ihm zugedachten Rolle als „Köder“ zu.

Nach dieser falschen Grundsatzentscheidung häuften sich die Pannen. Im Juli 1973 begleitete Guillaume Brandt und seine Familie in den Urlaub nach Norwegen, wo der Spion erstmals Einblick in geheime, chiffrierte Dokumente bekam. Bald schon sickerten diese Vorgänge durch, doch Brandt manövrierte sich in einer Aktuellen Stunde des Bundestags in eine äußerst pikante Lage, als er abstritt, Guillaume habe je Geheimakten in die Finger bekommen. Die Korrektur nutzte Brandt nicht mehr viel, da die CDU/CSU-Opposition ihm bewußte Täuschung des Parlaments vorwarf und die öffentliche Aufregung um den Geheimnisverrat zum Sturm anwuchs.

Am 24. April 1974 spielte sich die Verhaftung jenes Mannes ab, den ausgerechnet einer von Willy Brandts Söhnen, Matthias Brandt, in dem Spielfilm „Im Schatten der Macht“ (2003) später darstellen sollte. Günter Guillaume bekannte bei seiner Festnahme umgehend, daß er Offizier der NVA der DDR wie auch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit sei. Angesichts der bis zu seiner Verhaftung noch schwachen Beweislage stellte diese Aussage eine wesentliche Grundlage für das Gerichtsverfahren dar. So wurde er im Dezember 1975 wegen Landesverrats zu einer Haftstrafe von dreizehn Jahren verurteilt, während seine Frau acht Jahre erhielt.

Doch für Brandt stand das dicke Ende noch aus. Und dazu trug nicht nur der Geheimnisverrat des Spions bei, sondern auch die Behauptung, daß dieser dem Kanzler „Frauen zugeführt“ habe. Dadurch schien die Ikone der SPD noch erpreßbarer als durch Guillaumes Kenntnis von Informationen, die die Interessen der Bundesrepublik tangierten. Dies wollte SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, der Brandt nicht wohlgesinnt war („Der Herr badet gern lau“), der sozialliberalen Bundesregierung ersparen, während Finanzminister Helmut Schmidt fand, wegen solcher Lappalien könne ein Bundeskanzler sein Amt nicht aufgeben. Doch Brandt gab auf: Am 6. Mai 1974 ließ er sein Rücktrittsschreiben an Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) übergeben. Damit hatte Guillaume sein Werk vollendet. Er starb, 1981 nach einem Agentenaustausch in die DDR zurückgekehrt und vom Regime dekoriert, am 10. April 1995.

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