© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Pankraz,
R. Achmetow und die Macht der Oligarchen

Neulich konnte Pankraz mit einem Herrn sprechen, der im Ruf steht, ein „intimer Kenner“ der Verhältnisse in der Ukraine zu sein und nicht im geringsten daran zweifelt, daß er es auch tatsächlich ist. Dieser Kenner sagte: „Vergessen Sie den Quatsch, der tagtäglich durch die Medien rollt, Janukowitsch, Klitschko, Maidan, Putin, Obama … Was in der Ukraine und speziell zwischen Kiew und Donezk abrollt, ist ein Krieg der Oligarchen. Petro Poroschenko contra Rinat Achmetow: So und nicht anders lautet die wirkliche Alternative.“

Pankraz fand das übertrieben, aber daß die sogenannten Oligarchen eine wichtige Rolle spielen, ist mittlerweile allgemeine Überzeugung. Überall laufen einem heute Oligarchen über den Weg. Weltberühmte Fußballvereine, riesige Yachten in den Buchten von Nizza oder Saint-Tropez, marktbeherrschende Schokoladenfabriken, Fernsehsender oder ganze sibirische Länderstriche – hinter allem steckt, wie einem glaubhaft versichert wird, das Geld von Oligarchen.

Aber wer sind diese Oligarchen? Wo kommen sie her, wie sieht ihr sozialer Hintergrund aus? Wieso rangieren sie für die Öffentlichkeit plötzlich in einer Reihe mit gewählten Ministerpräsidenten und wohlausgebildeten Wirtschaftstycoons? Die mußten doch, um auf ihren jetzigen Posten zu kommen, zumindest eine lange Vorlaufzeit absolvieren. Oligarchen hingegen tauchen auf aus dem Nichts, sind sofort milliardenschwer und machen sich wichtig. Was ist da passiert?

Ihr Name sagt nichts darüber, bedeutet lediglich „Herrscher“. Im 19. Jahrhundert soll man schon einmal von „Oligarchen“ gesprochen haben, nämlich wenn man eine gewisse Form von schlauen Abenteurern meinte, die sich etwa in Alaska, statt dort selber nach Gold zu schürfen, für billiges Geld gleich das ganze goldverdächtige Ödland unter den Nagel rissen, um damit später, als die Goldgräberei richtig in Gang gekommen war, sagenhafte Profite zu machen, sich zum Herrn über ganze Regionen aufzuschwingen und sie (staatliche Ordnung war noch kaum vorhanden) nach ihren eigenen Regeln auszubeuten.

Erst seit jüngster Zeit spricht man flächendeckend von Oligarchen. Und der neue Begriff stammt eindeutig aus Rußland und der Ukraine, genauer: aus der zusammenbrechenden Sowjetunion während der Gorbatschow- beziehungsweise Jelzin-Ära vor zwanzig Jahren, als im Zuge der „Demokratisierung“ an jedermann Anteilscheine für staatliche Industrieanlagen, Ackerflächen oder Bodenschätze ausgegeben wurden. Die meisten Leute konnten mit denen freilich nichts anfangen und verkauften sie freudig zum Nennwert an beflissen auftauchende Interessenten.

Traut man den üblichen russischen Erzählungen, so waren es damals vor allem jüngere Leute, Komsomol-Funktionäre aus der zweiten Reihe, die die Gutscheine aufkauften, vor allem Kassenwarte, die bisher die kleinen Geldbestände ihrer Komsomolgruppe verwaltet hatten und folglich schon gewisse Erfahrungen mit Geldgeschäften hatten. Die also wurden jetzt, während der „ursprünglichen Akkumulation“ in der „stürmischen Jelzin-Zeit“, über Nacht zu professionellen Spekulanten und bald auch Großspekulanten, die ihre Neuerwerbungen bevorzugt an auftauchende ausländische Investorengruppen weiterverkauften.

Die Gewinne waren sagenhaft. Leute wie Boris Beresowski, Michail Chodorkowski, Wladimir Gussinski, Julia Timoschenko oder Rinat Achmetow wurden so reich, daß sie vor Geld buchstäblich nicht mehr laufen konnten. Und natürlich wurden sie damit auch politisch höchst einflußreich, richteten ihr eigenes Regime auf, stellten sich hier und da eindeutig über und gegen den Staat, der ja – genau wie im Alaska des 19. Jahrhunderts – nach dem Zusammenbruch zeitweise gar nicht mehr richtig vorhanden war. Erst nach Jelzin mit der Wahl Putins änderte sich das allmählich.

Mit Putin begann der Niedergang des Oligarchen-Regimes. Mehrere von ihnen wurden wegen ausgedehnter Steuerhinterziehungen und illegaler Zockereien verurteilt. Der bekannteste von ihnen, Chodorkowski, wurde im Oktober 2003 festgenommen und erhielt neun Jahre Haft; inzwischen ist er amnestiert. Gussinski und Beresowski entkamen der Justiz, indem sie Rußland frühzeitig verließen. In der Ukraine wurde Julia Timoschenko verurteilt; andere ukrainische Oligarchen wie Poroschenko und Achmetow blieben unbehelligt, so wie in Rußland Alexander Lebedew oder Witali Malkin.

Vom Gezeter der US-Presse und ihrer Nachplapperer, daß die armen Oligarchen durch die Bank Opfer einer ruchlosen „Putin-Justiz“ gewesen seien, ist wenig zu halten. Aber der Blick auf die Szene im ganzen eröffnet erhellende Einblicke. Oligarchen-Regime, so scheint es, können keine Dauer haben, sie wirken allzu abstoßend. Der Korrespondent des Londoner Guardian beschrieb es einst so: „Die Oligarchen sind bei den durchschnittlichen Russen ungefähr so unbeliebt wie jemand, der zum bloßen Vergnügen auf dem Gehsteig vor einem Waisenhaus 50-Pfund-Scheine verbrennt.“

Wahrscheinlich verhält sich das bei den heutigen Ukrainern, ob sie nun in Kiew oder in Donezk leben, ob sie Anhänger der „orangenen“ oder der „blauen“ Richtung sind, nicht anders. Trotzdem bewirbt sich in Kiew der Oligarch Poroschenko für das Amt des demnächst zu wählenden Staatspräsidenten, und die Ex-Oligarchin Julia Timoschenko hält sich ebenfalls zur Kandidatur bereit, während in Donezk der Oligarch und reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow noch nicht genau weiß, was er politisch wollen soll.

Zu Peter Scholl-Latour sagte er einmal: „Mensch, werden Sie doch Mitglied in meinem Fußballklub Schachtar!“ Neben ihm, erzählt Scholl-Latour, „stand ein Riesenkerl, der nicht besonders intelligent wirkte. Sagt Achmetow: ‘Hier stelle ich Ihnen Herrn Janukowitsch vor, den künftigen Präsidenten der Ukraine.’ Ja, so läuft das da. In Kiew ist es nicht anders: Die Timoschenko, die Gasprinzessin, ist auch eine Oligarchin.“

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