© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

In einer vom Figaro erstellten Prognose für die französische Präsidentschaftswahl 2017 gibt die Mehrzahl der Befragten an, daß neben dem Amtsinhaber Hollande nur zwei Kandidaten eine Chance haben werden: Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen. Im ersten Wahlgang rechnet man mit einer Stimmenverteilung von 19 Prozent für den Sozialisten, 29 Prozent für den Bürgerlichen, 25 Prozent für die Rechte; bei einem Stechen zwischen Sarkozy und einem der beiden anderen würde sich Sarkozy durchsetzen. Sollte der – unwahrscheinliche – Fall eines Ausscheidungskampfes zwischen Hollande und Le Pen eintreten, könnte Hollande gerade noch 54 Prozent der Wahlberechtigten für sich gewinnen, seine Kontrahentin erhielte 46 Prozent.

Drei Meldungen in einer Woche: Die geringste Arbeitszufriedenheit weisen Beschäftigte im öffentlichen Bereich auf; der Tarifabschluß für Beamte, Angestellte und Arbeiter in Bund und Kommunen bevorzugt – wie seit zwanzig Jahren regelmäßig – die unteren Einkommensstufen; für den Schuldienst, insbesondere was die MINT-Fächer betrifft, finden sich praktisch kaum noch Bewerber.

Die außenpolitische Debatte kann viel ruhiger werden, sobald die Kommentatoren einsehen, daß sich außerhalb des westlichen Kulturkreises nur die Oberfläche gesellschaftlicher Ordnungen ändert, nicht die Tiefenstruktur.

Wenn man Träumen so viel Aufmerksamkeit schenkte wie Ernst Jünger, könnte man auch der Frage auf den Grund gehen, welche Folgen der Schlaf unter fremdem Himmel oder unter dem Einfluß fremden Weins auf die Nachtgesichte hat.

Es gibt natürlich nicht nur die drama queen, sondern auch den king.

In der Ukraine fürchtet man eine russische Invasion, an der Côte d’Azur ihr Ausbleiben.

„Zeitschriften sind wie Omnibusse, man muß an der richtigen Station aussteigen.“ (Armin Mohler)

Moment der Rührung: Der Knirps hockt hinter einer Ecke, angespannt, nicht in dieser Welt, den Besenstiel im Anschlag, und ruft todernst „peng, peng, peng“ in Richtung auf einen unsichtbaren Gegner.

Die politischen Abteilungen der französischen Buchhandlungen bieten eine Fülle von Analysen zum Wahlerfolg des Front National. Erstaunlich ist der nüchterne Tonfall vieler Neuerscheinungen. Das spiegelt die Ratlosigkeit der Linken wie das Nachlassen der antifaschistischen Mobilisierung. Es gibt bereits die Vermutung, daß der FN die bürgerlichen Parteien beerben, eine neue Sammlungsbewegung bilden und geschlossen einer zersplitterten Linken gegenübertreten könnte, wenn er den neuen Kurs entschlossen weiterverfolge.

Man muß im Hinblick auf den Opportunismus den ewigen von zeitbedingten Varianten trennen. Letztere können ganz verschiedene Gestalt annehmen. So ist bei Opportunisten, die heute die Grenze zum Alter überschreiten, oft deutlich erkennbar, daß sie aufgrund tiefer Existenzangst handeln. Die kann eigentlich nicht aus Erfahrung herrühren, aber offenbar hat sich dem Kind doch atmosphärisch die Unsicherheit der Nachkriegsjahre mitgeteilt, und so tendiert man instinktiv zur Unterwerfung. Kein Lebenserfolg, keine Karriere, keine Sekurität ändert das.

Der Konzentrationsmangel als Signatur der Zeit verdankt sich wahrscheinlich auch der unmittelbaren Fehlermeldung elektronischer Systeme. Man wird nicht nur daran gewöhnt, eigene Irrtümer als folgenlos zu betrachten, sondern auch, die Vorgabe von Korrekturmöglichkeiten als selbstverständlich anzusehen.

Daß wir doch noch nicht ganz Westen sind, erkennt man am Fehlen des breiten Angebots von entrindetem Weißbrot in den großen Supermärkten, das in Frankreich oder Großbritannien ganz selbstverständlich ist.

Bildungsbericht in loser Folge LV: „Wie kann man Anpassung zum Erziehungsziel erheben? Ich will die Arbeit von Lehrern und Professoren nicht geringschätzen. Viele geben sich rührende Mühe. Aber was sollen sie machen? Wenn sie ihren Schülern und Studenten gerecht werden wollen, müßten sie vieles sabotieren, was ihnen vorgeschrieben wird. Das aber wird immer schwieriger wegen der Gängelung durch Verwaltung.“ (Christian Meier, Althistoriker)

Sprachen, die nur das Minimum an Farbunterscheidungen kennen, beschränken sich auf drei Begriffe: Schwarz, Weiß, Rot.

Die Bereitschaft der Franzosen, auf Sarkozy zurückzukommen, spricht nicht nur für ein kurzes Gedächtnis, sondern auch für das dramatische Tempo, in dem die personellen Ressourcen der Fünften Republik aufgezehrt werden.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 9. Mai in der JF-Ausgabe 20/14.

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