© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Neues Westfernsehen oder Kreml-Lügensender?
Russia Today verspielt seinen guten Ruf als unabhängige Nachrichtenquelle derzeit mit Putin-Propaganda
Ronald Gläser

Am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte ist das Hauptquartier der englischsprachigen Nachrichtenagentur Ruptly. Das ist die jüngste, erfolgreiche Tochterfirma von RT Network, jenem Firmenkonglomerat, das wiederum der Agentur Ria Novosti und damit dem Kreml gehört. Für Ruptly arbeiten acht Mitarbeiter, überwiegend aus dem englischsprachigen Ausland. Weitere zwanzig sind es weltweit. Die Agentur produziert vor allem für das Programm von RT.

RT steht für Russia Today. Der Kreml wollte mit diesem Sender ein Gegengewicht zur Deutungshoheit von angelsächsischen Nachrichtensendern wie CNN und BBC schaffen. Zuvor hatten mit Al Dschasira und Al Arabia bereits zwei Sender aus dem arabischen Raum den Betrieb aufgenommen, die gegen die westliche Dominanz in der Medienwelt gerichtet waren. 2005 kam nun RT hinzu. Der Sender hat ein dreistelliges Millionenbudget und 2.000 Mitarbeiter weltweit. Er erreicht nach Senderangaben 550 Millionen Zuschauer in 100 Ländern. Die meisten deutschen Kabelkunden können RT empfangen.

Natürlich dient ein staatlicher Sender nicht dem Zweck, die ungeschminkte Wahrheit zu berichten, sondern Propaganda zu betreiben. Doch zunächst spielte der russische Einfluß keine Rolle, auch weil Rußland geopolitisch eine Ruhepause eingelegt hatte. Erstmals bei der Georgien-Krise 2008 und später in Syrien wurde die prorussische Ausrichtung allerdings deutlich sichtbar.

RT berichtete aber für westliche Fernsehzuschauer plötzlich auch über Dinge, über die sie in ihren staatlichen Rundfunkanstalten nicht oder nur verzerrt informiert wurden. Dissidenten, die bislang weitgehend unbekannt und von den staatlichen und staatsnahen Anstalten im Westen stets ausgegrenzt wurden, erhielten ein Gesicht, eine Stimme.

Beatrix von Storch trat dort ebenso auf wie der Chef des rechten Nachrichtenmagazins Zuerst!, Manuel Ochsenreiter. Auch eher linke oder radikalliberale Publizisten wie Christoph Hörstel oder Oliver Janich waren Interviewpartner des Senders. Sie alle haben nur eines gemeinsam: eine kritische Haltung zur US-Außenpolitik. Das gilt erst recht für die RT-Gesprächspartner aus der englischsprachigen Welt. Sie decken ein weites Spektrum ab, das vom erzkonservativen Patrick Buchanan bis zum Wikileaks-Gründer Julian Assange reicht, der vor seiner Flucht ins Londoner Botschaftsasyl sogar eine eigene Sendung bei RT mit dem Titel „World Tomorrow“ (Die Welt von morgen) hatte.

Das Konzept war zunächst erfolgreich. Ein langjähriger Zuschauer mit DDR-Biographie pflegt zu sagen: „Das ist das neue Westfernsehen: endlich wieder ein Sender, der die Wahrheit verbreitet.“ In den sozialen Netzwerken kommt das Spartenprogramm gut an. Bei Youtube etwa liegt RT weit vor CNN in der Zuschauergunst. Es gibt sogar eine Petition deutscher Zuschauer an die Senderchefs in Moskau, die aufgefordert werden, nach Russisch, Englisch, Spanisch und Arabisch RT bitte auch auf deutsch ausstrahlen zu lassen. Sie hat allerdings bisher erst 16.000 Unterstützer.

Zuletzt ist das Programm in Verruf geraten. Zwar sind viele Zuschauer unzufrieden mit der einseitigen Sichtweise der westlichen Sender. Aber RT hat vor dem Hintergrund der Zuspitzung der Lage in der Ukraine seine Objektivität abgelegt und betreibt einseitige Propaganda.

Eindeutig belegen läßt sich dies anhand der Berichterstattung über die Ukraine: Gewaltbereite, mutmaßlich von Rußland bewaffnete Separatisten in der Ostukraine sind bei RT stets friedliebende Demonstranten. Für die Kiewer Maidan-Demonstranten hingegen hatte die Sprachregelung gegolten, dies sei ein „rechtsextremistischer Mob“ gewesen. Der Sender zeigt immer nur die jeweils passenden Bilder.

Moderatorin kündigte vor laufender Kamera

Die Moderatorin Liz Wahl, die für RT America gearbeitet hat, zog wegen der prorussischen Linie die Reißleine. „Dieser Sender rechtfertigt die Aktionen Putins, daran kann ich mich nicht länger beteiligen“, sagte die Endzwanzigerin in einer Nachrichtensendung und kündigte vor laufender Kamera den Job. Was für ein Affront! Vorgesetzte und Kollegen schäumten vor Wut. Die Antwort des Senders lautete, sie habe PR in eigener Sache betreiben wollen. Ein RT-Insider aus Deutschland sieht dunkle Mächte am Werk: „Es ist naiv anzunehmen, daß sie einfach so gegangen ist.“ Sie selbst sagt, daß ihre Großeltern während des Ungarnaufstands ihre Heimat hätten verlassen müssen. Bei RT gehe es „nicht um die Wahrheit, sondern um Putins Agenda“, kritisiert sie.

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