© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Alles, was Recht ist
Paralleljustiz: Viele moslemische Einwanderer regeln Streitigkeiten lieber unter sich, ohne den deutschen Staat. Politiker sehen Handlungsbedarf
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Scharia, das überkommene islamische Gewohnheitsrecht, breitet sich mit der Masseneinwanderung aus dem Orient zwangsläufig auf deutschem Boden aus. Mal ist es die Kantine, die stillschweigend Schweinefleisch vom Speiseplan streicht. Oder eine Schule, die auf Ausflüge und Klassenarbeiten während des Ramadan verzichtet. Fragt man nach dem Grund dafür, bekommt man Verschwommenes über „Respekt vor der islamischen Religion“ oder „Rücksichtnahme auf unsere muslimischen Mitbürger“ und dergleichen mehr zu hören.

Politik reagiert mit bloßen Absichtserklärungen

Einzeln für sich genommen sind das zwar oft nur Kleinigkeiten, schleichende Veränderungen hinter den Kulissen, die aber dem mißtrauisch gewordenen Publikum in der Summe das Gefühl vermitteln, bald eine islamisch geformte Gesellschaft auf der Bühne vorzufinden. Bereits heute wird von deutschen Gerichten die Scharia berücksichtigt, wenn es beispielsweise um die zivilrechtlichen Konsequenzen einer Scheidung moslemischer Ehepartner geht.

Alles das ist Ausdruck einer Entwicklung, die zwar von Akteuren der islamischen Welt genau beobachtet und kommentiert wird, der aber deutsche Politiker für gewöhnlich als ahnungslose Statisten hinterherstolpern. Doch immerhin, selbst im Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat man davon zumindest einmal Notiz genommen, wenn es im Abschnitt „Moderne Justiz“ heißt: „Wir wollen das Rechtsprechungsmonopol des Staates stärken. Illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden.“

Aber ebenso wolkig wie eine derartige Absichtserklärung ist auch das Wissen um diese Paralleljustiz. Ein Bericht des Bundesjustizministeriums über die sogenannten „Friedensrichter“, der demnächst fertig gestellt werden soll, dürfte daran wohl nichts ändern. Bereits eine Vorgängerstudie des bayerischen Justizministeriums erbrachte 2012 kein „belegbares Zahlenmaterial, das seriöse Rückschlüsse über das Ausmaß erlaubt“, räumte Justizminister Winfried Bausback (CSU) jüngst gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein.

Viel Raum also für Theaterdonner. Beim Gewaltmonopol des Staates „gilt für uns die Null-Toleranz-Linie“, gab der stellvertretende Bundesfraktionsvorsitzende der Union, Thomas Strobl (CDU), als Losung aus. Konkrete Maßnahmen nannte er jedoch nicht. Ebenso der neue Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der kühl beschied, bei dem Phänomen würde es sich nur um Einzelfälle und nicht institutionell gefestigte Strukturen handeln. Das allerdings dürfte auch nach bisherigem Kenntnisstand eine grobe Verharmlosung sein.

Worum geht es eigentlich? Provokant könnte man behaupten, es gäbe gar kein Problem mit der Scharia. Der deutsche Rechtsstaat gibt den Bürgern genügend Freiraum, nach eigenen Regeln leben zu können. So gibt es beispielsweise ein Kirchenrecht, welches die Gründe für die Exkommunikation eines Gläubigen vorschreibt, ohne daß hierdurch gleich die deutsche Rechtsordnung angegriffen würde. Warum soll dann also nicht auch das islamische Recht integriert werden?

Mit eben dieser Forderung sorgte 2012 der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Jochen Hartloff (SPD), für Aufsehen. „Steinzeit werden wir nicht tolerieren“, versprach Hartloff damals einschränkend, denn „Steinigen ist menschenrechtsunwürdig“. Eine Vorstellung, die von völliger Unkenntnis des islamischen Rechts zeugt. Denn dieses Recht gewinnt seine Legitimation aus der Rückführung auf eine einzige Quelle, eben den Islam. Eine säkulare Ausdifferenzierung ist ihm eigentlich fremd.

Wer daher der Scharia in einzelnen Lebensbereichen eine partielle Gültigkeit verschafft – beispielsweise bei Erbschaftsangelegenheiten – setzt damit zwangsläufig alle übrigen Bereiche unter Rechtfertigungsdruck. Ein Druck, mit dem viele Islamfunktionäre rechnen und durch ihn die Gesellschaft in ihrem Sinne umgestalten wollen.

So weist die Bonner Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher auf den einflußreichen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi hin, der moslemische Minderheiten zur Islamisierung ihres Gastlandes aufruft. „Dies soll nach al-Qaradawis Rat nicht mit Gewalt, sondern mit Hilfe der Durchsetzung islamischer Prinzipien in Recht, Politik und Gesellschaft geschehen“, heißt es in Schirrmachers Studie „Scharia-Normen auch in Deutschland?“ Hiervon verhältnismäßig getrennt sieht die Wissenschaftlerin das Phänomen der Friedensrichter, die häufig nicht nur im deutschen, sondern auch im islamischen Recht nur rudimentäre Kenntnisse besitzen. Aber dennoch hängt die Institution wesentlich mit dem islamischen Recht zusammen.

Die Scharia ist unverkennbar ein Produkt der Stammesgesellschaft. Eine ihrer wesentlichsten Aufgaben besteht in der Einhegung von Clan-Rivalitäten. Wo Faustrecht und Blutrache auszubrechen drohen, da ist sie um Kompensation bemüht. Rechtsfrieden herzustellen bedeutet hier daher weniger die Feststellung von Recht und Unrecht, sondern ein stetig neues Ausmessen von Machtverhältnissen, welche sonst nur durch Blutvergießen geklärt würden. Darin besteht die Aufgabe des Friedensrichters.

Was daher der Journalist und Jurist Joachim Wagner in seinem Buch „Richter ohne Gesetz“, der bisher ausführlichsten Schilderung eines sonst im Verborgenen arbeitenden Milieus (JF 14/12) schildert, erinnert nicht von ungefähr an Szenerien typischer Mafia-Filme: Zusammenkünfte in Hinterzimmern, Absprechen von Zeugenaussagen vor Gericht und Schweigegebot nach außen. Tatsächlich ist die Schnittmenge zur organisierten Kriminalität außerordentlich hoch, auch wenn sich einige Friedensrichter um Seriösität bemühen. Der aus dem Libanon stammende Berliner Hassan Ali Allouche etwa, der sich selbst „Arabischer Friedensrichter“ nennt, betont in den Medien gerne sein gutes Verhältnis zu den Behörden und gibt sich überzeugt: Mit seinem Wirken und dem Vertrauen, das er unter „Migranten“ wie Polizisten genießt, verhindere er Katastrophen.

Liberaler Rechtsstaat ermöglicht sogar Mehrehe

Wagner jedoch sieht die Rolle des Friedensrichters eindeutig negativ. „Zumindest vorübergehend ist es wichtiger, Zeit und Aufwand in Ermittlungen gegen Friedensrichter zu investieren als etwa in eine Anklage wegen Drogenhandels.“ Werde dieser verurteilt, „wird das die ganze Zunft verunsichern“ und das deutsche Recht gewänne an Bedeutung, hofft der Jurist und Fernsehjournalist. „Die islamische Paralleljustiz ist ein Produkt der Parallelgesellschaft“ – und damit einer gescheiterten Integration.

Der eigentlich gutgemeinte Vorstoß des Bundes, mit dem Mediationsgesetz 2012 deutschen Staatsbürgern erweiterte Möglichkeiten für außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren zu geben, muß daher vor diesem Hintergrund kritisch beurteilt werden. „Eine Bedrohung ist die nichtstaatliche Schlichtung dann, wenn sie begleitet wird von Nötigung, Einflußnahme oder Sanktionen, die mit dem staatlichen Recht nicht vereinbar sind“, meint Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). Doch wer soll das kontrollieren?

Es sind Freiräume eines liberalen Rechtsstaates, in die eine alles andere als freiheitliche Rechtsordnung vordringt. So weist die Berliner Politikwissenschaftlerin Dorothee Dienstbühl darauf hin, daß eigentlich erst mit der Abschaffung des Ehestandsgesetzes, laut dem der religiösen eine staatliche Eheschließung vorausgesetzt war, sowie üppigen Sozialleistungen moslemische Männer in die Lage versetzt wurden, die von der Scharia erlaubte Mehrehe in Deutschland ausleben zu können.

Sowohl bei in Deutschland geborenen als auch bei eingewanderten Moslems schwinde der Respekt vor staatlichen Institutionen, klagt Stickelberger. Um die Akzeptanz des deutschen Justizsystems zu steigern, plädiert er für eine stärkere Einbindung von Moslems als Akteure. „Wir werben deshalb gezielt für Schöffen mit Migrationshintergrund.“ Ob sich so die Akzeptanz der deutschen Gerichte erreichen läßt? Die negativen Erfahrungen, von denen in jüngster Zeit Polizeibeamte mit Einwanderungshintergrund berichteten, stimmen nicht gerade optimistisch.

Kommentar Seite 2

 

Schariajustiz und Friedensrichter

In bestimmten Fällen können deutsche Gerichte Normen der islamischen Scharia anwenden. Dies ist etwa im internationalen Privatrecht der Fall, so daß – wenn Personen nichtdeutscher Herkunft beteiligt sind – ein Urteil das islamisch geprägte Zivilrecht des islamischen Herkunftslandes berücksichtigt. Anders als in Großbritannien, wo bereits 1982 staatlich anerkannte Schariagerichte etabliert worden sind, gibt es solche Entscheidungsinstanzen oder gesonderte Schiedsstellen für Moslems in Deutschland offiziell nicht. Allerdings treten in Stadtvierteln, die stark von moslemischen Einwanderern geprägt sind, sogenannte Friedensrichter in Erscheinung. Ohne Ausbildung, nur kraft einer meist familiär abgeleiteten Autorität, wenden sie das an, was sie für Recht halten. Laut Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftragter von Berlin-Neukölln, lösen zehn bis fünfzehn Prozent der traditionell geprägten Moslems ihre Streitigkeiten auf diese Weise, ohne daß deutsche Stellen eingeschaltet werden. Dies betrifft nicht nur „zivilrechtliche“ Fälle; so kann eine Körperverletzung mit einer Art Blutgeld (etwa 10.000 Euro) geahndet werden.

Weiterführende Texte zu diesem Thema unter folgenden Links:

http://goo.gl/UOMtlw

http://goo.gl/niQCsC

 

„Ehrbezogene Verbrechen“

Von einem Ehrenmord spricht man in der Regel, wenn der Täter als Motiv für seine Tat angibt, er habe dadurch die Familienehre wiederherstellen wollen. Es liegt auf der Hand, daß diese Definition schwammig ist, die Zahlen über Ehrenmorde in Deutschland dementsprechend unterschiedlich ausfallen. Vor allem die Abgrenzung zur sogenannten Blutrache oder zu „gewöhnlichen“ Beziehungstaten ist fließend. Ehrenmorde sind Phänomen einer abgeschotteten, meist streng islamisch geprägten Parallelgesellschaft. Vom Täter und einem maßgeblichen Teil seines sozialen Umfeldes wird die Tat als notwendige Reaktion auf eine Verletzung von Verhaltensnormen (Verstoß gegen die Sexualmoral, „westlicher“ Lebensstil) durch das Opfer gerechtfertigt. Häufig sind (der männliche) Täter und das (weibliche) Opfer miteinander verwandt, oft hat ein „Familientribunal“ zuvor „geurteilt“.

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2009 haben 30 Prozent der türkischen (oder türkischstämmigen) Studenten in Deutschland – mithin Repräsentanten der Höhergebildeten – einen Ehrenmord als „legitime Reaktion auf die Verletzung der Familienehre“ bezeichnet.

Foto: Fahne des Islam und das Gezerre ums Recht: Der deutsche Rechtsstaat gibt genug Freiraum, nach eigenen Regeln zu leben

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