© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Die Schuldenkrise in der EU ist angeblich ausgestanden
1001 Nacht in Brüssel
Markus Brandstetter

Stellen wir uns einmal vor, Ihr Nachbar verdient im Jahr 60.001 Euro netto. Seine laufenden Ausgaben pro Jahr betragen genau 60.000 Euro. Da sich Ihr Nachbar aber kürzlich ein schönes Haus gekauft hat, sein dickes Auto geleast ist und noch ein paar Ratenverträge abzustottern sind, braucht er nochmals 40.000 Euro pro Jahr. Seine gesamten Ausgaben pro Jahr belaufen sich also auf 100.000 Euro. Trotzdem erzählt ihnen ihr Nachbar, er würde einen „Primärüberschuß“ erzielen, weil er ja 60.001 Euro verdient und nur 60.000 an laufenden Ausgaben hat. Einen Nachbarn, der einem eine solche Rechnung aufmacht, würde man zu Recht für ein bißchen bescheuert halten.

Genau eine solche Rechnung wurde nun aber vor einer Woche für Griechenland aufgemacht, als die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) in die Welt hinausposaunte, Griechenland habe 2013 erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuß erzielt. Mit „Primärüberschuß“ war gemeint, daß das Land in der Lage sei, seine laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen zu decken. Nur hat die EU-Kommission sich hier wieder einmal etwas schöngerechnet, weil sie die Zinszahlungen des Staates und sämtliche Staatsausgaben, die auf Auflagen des internationalen Hilfsprogramms zurückgehen, herausgerechnet hat. Nun ist es natürlich nicht so, daß die Statistiker der EU-Kommission nicht rechnen können, ganz im Gegenteil: sie können sogar sehr gut rechnen, und eben deshalb rechnen sie alles genauso schön, wie die EU-Regierungen es brauchen. Denn es ist ja so: Das Vorhandensein eines Primärüberschusses ist die Voraussetzung dafür, daß Griechenland zusätzlich zum laufenden Hilfsprogramm weitere Erleichterungen seiner Kreditgeber erhält. Und das war natürlich der Zweck der ganzen Übung. Griechenland braucht immer mehr und immer weitere Hilfsmittel, und wenn die aktuellen Zahlen des Landes das nicht hergeben, dann müssen eben Zahlen gefunden werden, die das tun. Und wieder einmal ist es Griechenland und der EU-Kommission mit vereinten Kräften gelungen, genau solche Zahlen zu finden.

Langfristig wird auch diese ganze Zahlendreherei nichts nützen. Die Verschuldung Griechenlands liegt bei 175 Prozent vom BIP, der höchste Wert in der EU. Es ist richtig, daß Griechenland im April erstmals wieder Staatsanleihen verkauft hat, aber das gelang nur, weil die gesamten griechischen Schulden praktisch durch die EZB und die anderen EU-Länder garantiert werden, das Land superniedrige Zinsen auf alle seine Schulden eingeräumt bekam und die Laufzeit der griechischen Staatsanleihen auf unfaßbare 17,5 Jahre ausgedehnt wurde. Aber was kann man von einem Land schon erwarten, das seit der Erlangung seiner Unabhängigkeit im Jahr 1830 mehr als die Hälfte der Zeit im Zustand des Staatsbankrotts gewirtschaftet hat?

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