© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Mit Willy auf Tour
Genosse Albrecht Müller plaudert aus großer Zeit
Sebastian Hennig

Albrecht Müller zählt zu den Unruhigen unter den SPD-Genossen. Seit über zehn Jahren betreibt er mit Wolfang Lieb im Netz die „NachDenkSeiten“. Ein Steckenpferd, das sehr ritterlich ausschaut, aber keine scharfe Attacke überstehen würde. So ist auch sein Erinnerungsbuch über Willy Brandt eher eine kosmetische Anti-Aging-Therapie der eigenen knitterig gewordenen Erinnerungen.

Müller war Wahlkampfleiter des Kanzlers und Planungschef des Kanzleramts unter Brandt und Schmidt. Nun bringt er jenen die Wahrheit über damals, die es noch interessiert. Es geht ihm um Ehrenrettung. Seine Sätze sind empörte Rede, kein sine ira et studio gehaltener Bericht und zuallerletzt ein Meisterstück politischer Prosa. Erst das Erregungsbeben der Stimme gibt ihnen Sinn.

Doch ein Sturm, der sich gelegt hat, interessiert heute wenig. Das politische Geschehen ist immer ungerecht. Aber in einem höheren Sinne hat die Zeit immer recht, und auch den Klischees, an denen sie modelliert, kommt eine Berechtigung zu. Für andere Wertungen müßte die Perspektive gewechselt oder eine andere politische Dimension in Betracht gezogen werden. Dazu ist Müller nicht bereit oder nicht in der Lage.

„Mir fällt es schwer, darüber nicht polemisch zu schreiben“, bekennt der in der Mitte des Buches. Etwas mehr Trockenheit in der Darstellung wäre wünschenswert gewesen. Aufgrund der historischen Einbindung des Autors hätte es zu einer Offenbarung werden können. Aber gerade die persönliche Verbundenheit verhindert das. Auch eine Apologie Brandts hätte ihre Würde gehabt. Aber hier ist der Lobpreis von Rechtfertigung durchsetzt. Durch dieses Betreben fällt die Verherrlichung immer wieder zurück in die Niederung damaliger Ranküne. Fast möchte man deshalb sagen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Gleichwohl sind Details über das parteidemokratische Marketing zu entnehmen, die grundsätzliche Einsichten geben, wie Politik oder deren Anschein bewirkt wird. Wenn das Buch damit insgesamt auch weit hinter dem Anspruch zurückbleibt, der sich im Wortspiel des Titels „Brandt aktuell“ verbirgt, bietet es neugierigen Zeit- und SPD-Genossen von damals interessanten Lesestoff.

Albrecht Müller: Brandt Aktuell, Treibjagd auf einen Hoffnungsträger. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2013, broschiert, 160 Seiten, 12,99 Euro

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