© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Die Steine sprechen vom Leben
Weltpremiere: Das Naturhistorische Museum in Wien zeigt älteste Fossilien von Mehrzellern
Hans-Bernhard Wuermeling

Als der marokkanisch-französische Geologe Abderrazak El Albani 2008 im zentralafrikanischen Gabun auf eigenartige Strukturen in Tonschieferplatten stieß, ahnte er nicht, daß ihm eine umwälzende Entdeckung gelungen war: Der Beginn des Lebens in mehrzelligen Organismen muß demnach eineinhalb Milliarden Jahre früher als bisher angenommen angesetzt werden. Erst nach intensiven Forschungen, die er zusammen mit Wissenschaftlern verschiedenster Fachrichtungen betrieb, hat er 2010 die Ergebnisse veröffentlicht (Nature Vol. 466/1. Juli 2010, S. 100-104). Die Fachwelt nahm sie mit Erstaunen zur Kenntnis, während sie darüber hinaus unbeachtet blieben. Seit Anfang März dieses Jahres kann die Öffentlichkeit erstmals einige dieser Fundstücke betrachten. Das Wiener Naturhistorische Museum durfte sie anläßlich des 125. Jahrestages seiner Eröffnung ausleihen (bis 30. Juni des Jahres).

In einem abgedunkelten Raum werden die schwarzen Schieferplatten in Glasvitrinen und scharf beleuchtet geradezu feierlich präsentiert – und wirken dennoch kaum spektakulär. Man erkennt mit Mühe flache, etwa nußgroße Knoten, die ein wenig aus der Bruchfläche hervorragen. Und wenn man weiß, wie diese sich nach Analysen mit Mikro-computertomographie darstellen, dann ahnt man auch, daß sie von einem breiten, an den Rändern fingerförmig ausgefächerten Saum umgeben sind. Aus der Veröffentlichung in Nature ist bekannt, daß diese Gebilde bis zu 17 Zentimeter Ausdehnung erreichen können, und daß man an die 40 davon auf einem Quadratmeter Gestein vorfinden kann.

Das eigentliche Erlebnis des sensationellen Fundes wird dem Betrachter aber erst mit einem Film von 40minütiger Dauer vermittelt. Die Computertomographie errechnet aus den unscheinbaren Gebilden deren Gestalt und Struktur und verwandelt sie aus ihrem grauen versteinerten Dasein in geradezu lebendig erscheinende, gelbbraune Wesen, die sich von allen Seiten betrachten lassen, als ob sie sich frei im Raum bewegten. Esoterisch Gesinnte mögen in den Knoten Andeutungen einer Yin-Yang-Struktur erblicken und Entsprechendes dazu phantasieren. Doch sind die nüchternen Beschreibungen der Naturwissenschaftler besser geeignet, Aussagen über diese Urlebewesen zu machen.

Gruß aus einer Sackgasse der Evolution

Was der Film nicht zeigt, sind die umfangreichen mittels radiochemischer und anderer raffinierter Methoden gewonnenen Untersuchungsergebnisse, die über jeden Zweifel erhaben den Schluß zulassen, daß es sich bei den nach ihrem Fundort in Gabun als Gabonionta benannten Objekten nicht etwa um anorganische mineralische Gebilde handelt. Vielmehr liegen hier Reste von mehrzelligen Lebewesen, von Organismen mit innerer Arbeitsteilung vor, wie man sie bisher erst aus eineinhalb Milliarden Jahre späterer Zeit gekannt hat. Ihre zeitliche Einordnung beruht auf der Kenntnis des Alters der Tonschiefer, in denen sie gefunden wurden.

Wovon aber diese Gabonionta gelebt haben, wie sie sich fortpflanzten, ob sie ortsfest waren oder beweglich, das bleibt einstweilen ein Geheimnis. Und die Frage, ob es sich um Pflanzen oder Tiere gehandelt hat, geht wohl ins Leere, weil diese frühen Lebewesen insoweit nicht differenziert waren. Vor ihnen hatte sich das Leben über Milliarden von Jahren nur in Einzellern, Bakterien, verwirklicht, die die Erde in dichten Rasen bedeckt haben dürften.

Erst als aus Gründen, die wir nicht kennen, die Konzentration des Sauerstoffs in der Atmosphäre jene 20 Prozent erreichte, mit der wir heute leben können, war die Voraussetzung von höherem, mehrzelligem Leben gegeben, der die Gabonionten ihre Entstehung verdankten. Doch fiel diese Konzentration aus unerfindlichen Gründen wieder auf minimale Werte zurück, so daß sich Leben weiter nur noch wie zuvor in Einzellern abspielte; das Bestreben der Gabonionten, zu höher entwickelten Lebensformen vorzustoßen, endete mit ihrem Aussterben. Kein heutiges Lebewesen stammt von ihnen ab. Die Evolution endete mit ihnen, wie viel später bei den Sauriern, in einer Sackgasse. Erst ein neuerlicher Anstieg der Sauerstoffkonzentration ließ völlig andere Lebewesen, von denen die heutigen abstammen, entstehen.

Der Einblick in ganz frühe und uns ganz fremde vergangene Lebensformen verdeutlicht: Nicht nur der einzelne ist von Mangel und Tod bedroht, sondern das Leben auf dieser Erde überhaupt reagiert empfindlich auf Katastrophen, seien es kosmische, die wir weder verantworten noch vermeiden können, seien es menschengemachte, etwa atomare. Der Mensch gehört trotz der Jahrmilliarden der Erdgeschichte mit all ihren lebensfeindlichen Veränderungen zu dem elitären Klub der Überlebenden.

 

Gabonionta

Vor 4,5 Milliarden Jahren, nimmt man an, ist unsere Erde entstanden. Das Leben darauf gibt es in Form von Einzellern seit 3,5 Milliarden Jahren. Erst vor einer halben Milliarde Jahren, so glaubte man bisher, entwickelten sich mehrzellige Lebewesen. Jetzt wurden diese bereits in 2,1 Milliarden Jahre altem Gestein nachgewiesen, also mehr als 1,5 Milliarden Jahre früher.

Sonderausstellung „Experiment Leben – Gabonionta“ noch bis 5. Oktober 2014

www.nhm-wien.ac.at

Foto: Forscherglück: Der marokkanisch-französische Geologe Abderrazak El Albani mit Kollegen bei der Geländearbeit in Gabun/Westafrika

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