© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Aus Mücken werden Elefanten
Nebenkriegsschauplatz: Die „FAZ“-Kampagne gegen Google lenkt von den wichtigen Fragen der Zeit ab
Markus Brandstetter

Stellen Sie sich einmal vor, Sie leiteten ein Unternehmen, in dem Sie Tausende von Mitarbeitern nach innen dirigieren und mit Arbeit, Sinn und Einkommen versorgen, nach außen hin repräsentieren und für Markteinteile, Macht und Einfluß kämpfen müßten. Jahrzehntelang herrschte Ruhe im Karton, wie die Schafe sind Ihnen Kunden und Mitarbeiter gefolgt, haben Ihnen geglaubt, was Sie gesagt und akzeptiert, was Sie getan haben, waren mit den Produkten, dem Geld, der Macht und dem Ansehen zufrieden.

Aber seit einigen Jahren läuft alles anders, Ihr Laden verliert an Macht, Einfluß und Ansehen, Ihre Einnahmen werden weniger, die Marktanteile geringer, junge Talente gehen nicht mehr zu Ihnen, sondern zur Konkurrenz. Die einstmals so brave Herde beginnt zu murren, Kritiker, Meuterer und Rädelsführer tauchen auf, die an Ihrem Ast sägen, die Kunden laufen weg. Was tun Sie?

Wenn Sie ein großer, intelligenter und rücksichtsloser Anführer sind, dann packen Sie das Übel an der Wurzel, ändern Ihr Geschäftsmodell, krempeln den Laden um, holen sich Macht, Einfluß und Geld zurück, eliminieren Ihre Gegner und scheuchen die Herde ins Glied zurück.

Wenn Sie aber kein großer Anführer sind, wenn Sie phantasielos, zaghaft und feig’ sind, wenn Sie denkfaul, bequem und der Trägheit, die mit dem Erfolg kommt, erlegen sind – was tun Sie dann? Dann gehen Sie der wahren Ursache der Probleme aus dem Weg, kreieren Nebenkriegsschauplätze, fahren Ausweichmanöver und machen aus Mücken Elefanten – immer in der Hoffnung, daß keiner merkt, was Sie tun.

So muß einem die Kampagne vorkommen, die die Frankfurter Allgemeine Zeitung seit Monaten gegen die Digitalisierung unserer Lebenswelt und den Internetriesen Google fährt. In einer Flut von Artikeln wird gesagt, daß Computer, Internet und die Digitalisierung sämtlicher Inhalte und Zeichensysteme den Menschen überfordern und sein Denken negativ verändern. Immer mehr Menschen kommunizieren über das Internet, schicken sich Nachrichten, Bilder und Filme, lesen Bücher, Partituren, Kochrezepte, Bedienungsanleitungen und wissenschaftliche Artikel online, finden Partner fürs Leben oder für eine Nacht, hören Musik, sehen fern, buchen Flüge und Hotels, kaufen ein und finden einen Weg durch fremde Städte. Und alle diese Aktivitäten hinterlassen Spuren, erzeugen Daten, die aggregiert und analysiert es den Besitzern dieser Daten erlauben, Profile der Menschen dahinter zu erstellen, ihr Verhalten zu analysieren und es – in engen Grenzen – auch vorherzusagen.

Das Sammeln und Auswerten dieser Daten nun wird von den FAZ-Autoren wütend kritisiert, und die Kritik folgt immer demselben Muster: Es drohe, heißt es wieder einmal, der Orwellsche Überwachungsstaat, denn wer immer mehr Daten über immer mehr Menschen besitzt, der werde irgendwann die Realität verändern. Internetkonzerne würden bald damit anfangen, das Kaufverhalten der Kunden nicht mehr zu beeinflussen, nein, sie werden den ganzen Menschen, sein Verhalten und sein Gehirn solange verändern, bis er ein ferngesteuerter Trottel ist, der nur noch das tut, kauft und konsumiert, wozu die Besitzer der Daten ihn zwingen.

Der Hauptfeind der FAZ und ihrer Gastautoren ist der Internetkonzern Google, der sich als Zielscheibe anbietet: Google ist mit einem Marktanteil von 90 Prozent die größte Suchmaschine im Internet, hat den am weitesten verbreiteten Webbrowser der Welt (Chrome), betreibt das größte Filmportal (YouTube) und den am weitesten genutzten E-MailDienst (Gmail). Google wickelt auch das Gros der Werbung im Internet ab, indem es Unternehmen und Organisationen, Produkte und Dienstleistungen gegen Bezahlung leichter und schneller findet und bei den Suchresultaten ganz oben plaziert – während Googles Wettbewerber gerne weit hinten landen, wo sie keiner bemerkt.

Ganz klar: Google macht es seinen Gegnern leicht, und ein Teil der Kritik ist berechtigt. Das Unternehmen ist ein Quasi-Monopolist, verfügt über fast unerschöpfliche technische und finanzielle Ressourcen, gräbt Medienkonzernen seit Jahren das Wasser ab und hat mit der NSA, dem Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, eine unheilige Allianz über den Austausch von Daten geschlossen.

Aber: Google ist kein totalitärer Überwachungsstaat, der Menschen ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt, sie knechtet, versklavt und verändert – sondern eine amerikanische Aktiengesellschaft, den Regeln eines demokratischen Rechtsstaates unterworfen, ein Unternehmen, das in den USA und der Europäischen Union mehrmals bereits von Anti-Monopolkommissionen erfolgreich dazu gezwungen wurde, Suchalgorithmen und Geschäftspraktiken zu ändern. Ford und General Motors, Standard Oil und AT&T – sie alle waren einmal Quasi-Monolisten, und sie alle haben durch Markt, Wettbewerb und Interventionen des Gesetzgebers ihre Stellung längst verloren – und nie stand ein quasi-faschistischer Überwachungskonzern, eine allesbeherrschende Marktstellung zur Debatte.

Nicht besser ist die Google-Kritik einer von der FAZ bemühten Harvard-Dozentin, die von Karl Polanyi bis zu Norbert Elias edle Namen viel und falsch zitiert, um dann schließlich mit der banalen und hilflosen Forderung nach mehr Staat zu kommen, einer Maßnahme aus der sozialistischen Mottenkiste, die noch nie geholfen hat.

Am allertraurigsten aber ist der offene Brief von Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden von Springer an Eric Schmidt, Googles Excutive Chairman, zu werten, in dem der Deutsche dem Amerikaner seine Angst vor Google beichtet und ihn anfleht, Googles Marktmacht nicht auszunutzen und auch für Springer & Co. noch ein paar Brösel übrigzulassen. Döpfner, selber kein Novize in Sachen Macht, soll lieber schauen, daß er Springer wieder die Stellung verschafft, die das Unternehmen einmal hatte, anstatt die Rolle des wehleidigen Opfers zu spielen.

Wenn diese ganze Diskussion überhaupt etwas zeigt, dann ist es das: Es ist viel einfacher, sich mit Nebenthemen zu beschäftigen als mit den wirklich großen Fragen der Zeit; wer sich selber als Opfer definiert und sich in seiner Rolle kuschelig eingerichtet hat, der braucht nicht mehr nachzudenken; einstmals gute und wichtige Medien schreiben gegen die Menschen, die Welt und das Lebensgefühl einer ganzen Generation an und wissen nicht einmal, wie irrelevant sie damit geworden sind.

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