© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Schwul und schwer krank
Unglaubliche Enthüllungen über Wladimir Putin
Lydia Conrad

Aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Ukraine steht Wladimir Wladimirowitsch Putin, der zweite und vierte Präsident Rußlands, wieder einmal im Fadenkreuz der weltweiten Aufmerksamkeit. Dabei wird er wechselweise als „Aggressor“ oder „Retter Rußlands“ apostrophiert.

Doch wer ist Putin wirklich – was für ein Mensch verbirgt sich hinter der Maske des geschickt pokernden Machtpolitikers? Dieser Frage versucht der selbsternannte Politikanalyst Stanislaw Belkowski nachzugehen, wobei er zu erstaunlichen Antworten kommt: Putin sei niemals ein KGB-Auslandsspion gewesen und verdanke seine Karriere somit auch keinem Geheimdienstnetzwerk; Putin bekämpfe die Oligarchie seines Landes nicht, sondern hätschele sie; Putin agiere als schwacher Diktator innerhalb einer chaotischen Polykratie; Putin sei mehr der konfliktscheue Kleinbürger als der Imperialist; Putin hasse sowohl seine Landsleute als auch die dahingeschiedene Sowjetunion. In Putin stecke ein Idealist und kein selbstverliebter Macho, Putin habe sein Leben lang vergeblich nach einer Vaterfigur gesucht, was ihn zu einem tragischen Helden mache.

Außerdem bezeichnet der Autor den Kremlchef als „klassischen Endzeitherrscher“, der den Zusammenbruch des roten Imperiums „unumkehrbar gemacht“ habe. Spätestens beim Lesen dieser Zeilen wird klar, daß Belkowski ein falscher Prophet ist und man sich daher die Lektüre sparen kann. Noch unprofessioneller wirken freilich das Verbreiten dubioser Gerüchte und das dilettantische Psychologisieren: Angeblich sei Putin von einer georgischen Familie adoptiert worden, was sein gespaltenes Verhältnis zu den Kaukasiern erkläre. Putin laboriere an Prokrastinismus, Putin mime den Superhelden, weil er „unter einem katastrophalen Adrenalinmangel leidet“, Putin sei entweder asexuell oder „latent schwul“. Zudem habe Putin mindestens drei Doppelgänger, die ihn bei offiziellen Terminen vertreten, weil er schwer krank sei, und so weiter und so fort.

Das alles erinnert fatal an Artikelchen in Klatschblättern! Fazit: Auch wenn Belkowski, dessen Lebenslauf übrigens merkwürdige weiße Flecken aufweist, tatsächlich über einiges Insiderwissen zu verfügen scheint: er ist definitiv kein vertrauenswürdiger Gewährsmann.

Stanislaw Belkowski: Wladimir. Die ganze Wahrheit über Putin. Redline Verlag, München 2014, gebunden, 365 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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