© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Schnitzel aus der Mikrowelle
Europawahl: Mit AfD-Sprecher Bernd Lucke im Wahlkampf unterwegs
Hinrich Rohbohm

Plötzlich geht das Licht aus. Das Mikrofon funktioniert nicht mehr. Es ist stockfinster in der Stadthalle von Wattenscheid. Sabotage? Erst nach fünfminütiger Unterbrechung kann Bernd Lucke seine Rede forstsetzen. „Die Technik hat nur gestreikt“, beruhigt schließlich ein Parteifunktionär.

Daß Lucke in diesen Tagen Sabotageakte vermutet, ist kein Wunder. Seine Partei sieht sich immer wieder Angriffen der linksextremen Antifa ausgesetzt, die mit Attacken auf AfD-Aktivisten an Infoständen oder Plakatzerstörungen versucht, die neue Partei einzuschüchtern und ihren Wahlkampf zu behindern. Besonders heftig sei das in Bochum der Fall. „Gerade darum bin ich gekommen, um zu zeigen, daß wir den Extremisten auch hier die Stirn bieten“, gibt sich der AfD-Vorsitzende vor rund 300 Anhängern kämpferisch. Trotz der Termindichte und einem 16-Stunden-Tag wirkt der 51jährige frisch und motiviert.

„Mein Geheimnis ist, daß ich mir keinen Sport antue“, lautet die ebenso verblüffende wie irrationale Aussage des ansonsten stets rational argumentierenden Wirtschaftswissenschaftlers. Hobbys? Sein Hobby sei die Familie. Der Vater von fünf Kindern „buddelt“ höchstens mal in seinem Garten herum. „Ich habe derzeit sowieso keine Freizeit.“ Der Wahlkampf fordere seinen Tribut. Auch wenn man das dem einstigen Querflötisten im Stabsmusikkorps der Bundeswehr nicht ansieht. Nur eines bringt ihn auf die Palme: der Vorwurf des Rechtsradikalismus. „Stellen Sie sich vor, kürzlich hat man mich einen Faschisten genannt“, empört er sich. „Einen Faschisten!“

Den stets auf eine sachliche Diskussion bedachten Volkswirtschaftler macht das fassungslos. Längst ist ihm klargeworden, daß dies gerade in Deutschland ein probates Mittel ist, um unliebsame politische Konkurrenz zu diskreditieren. Kapitulieren will er davor nicht. Die 50 AfD-Gegner aus der linken Szene, die in Wattenscheid vor der Stadthalle demonstrieren, scheinen ihn vielmehr anzuspornen. Lucke vergleicht den Kampf der AfD gegen Linksextreme mit dem Widerstand der Berliner gegen die Kommunisten während des Kalten Krieges. „Ich bin ein Bochumer“, ruft er in Anlehnung an das berühmte Kennedy-Zitat seinem Publikum zu.

Die Themenpalette, die Lucke auf seiner Wahlkampftour durch Deutschland anspricht, spult er routiniert herunter. Probleme bei der Zuwanderung, an osteuropäische Arbeiter gezahltes Kindergeld, obwohl deren Kinder nicht in Deutschland leben, die Vorzüge von Volksabstimmungen wie in der Schweiz, die Fehler in der Euro-Krise. Lucke redet frei, bemüht, auf die Situation vor Ort einzugehen. Als er die Stadthalle verläßt, ist es 22 Uhr.

Am nächsten Morgen sitzt er bereits auf einem Stuhl in einer unscheinbaren Ecke in der Lobby des Westin Hotels von Dresden, arbeitet am Laptop. Hier redet er vor Familienunternehmern. Der Beifall zu seiner Begrüßung ist verhalten. „Sie stellen die richtigen Fragen, geben aber nicht immer die richtigen Antworten“, gibt sich deren Vorsitzender Lutz Goebel gegenüber der AfD zunächst distanziert. So sei die Ablehnung des transatlantischen Freihandelsabkommens bei den Familienunternehmern auf Unverständnis gestoßen. Lucke redet mit ruhiger Stimme. Seine Partei sei grundsätzlich für Freihandel, das transatlantische Abkommen beinhalte jedoch Details, die Eingriffe in die Souveränität der beteiligten Staaten zur Folge haben. Er erinnert daran, daß die AfD die einzige Partei sei, die den Mindestlohn ablehne.

Lucke räumt auch mit der Mär vom Exportwachstum durch den Euro auf, zeigt anhand einer Grafik, daß die Exporte in den Euro-Krisenländern im Vergleich mit Deutschland gesunken seien, während sie in den osteuropäischen Ländern anstiegen. Dies sei vor allem am Beispiel Sloweniens ersichtlich, dessen Exporte gegenüber der Bundesrepublik bis 2008 stärker angestiegen seien und dann – nach dem Euro-Beitritt – einen rapiden Abfall erlebt hätten. Lucke punktet, der Applaus zum Ende hin fällt deutlich stärker aus.

Lucke muß zum nächsten Termin. Eine Kundgebung in Dresdens Flaniermeile, der Prager Straße. „Sie haben die Latte sehr hoch gelegt. Für Christian Lindner wird es schwer, das zu toppen“, gibt ihm ein Familienunternehmer noch mit auf den Weg. Der FDP-Chef soll später ebenfalls bei dem Verband reden. „Ich denke schon, daß ich Vorurteile abbauen konnte“, meint Lucke, ehe es weiter zur Prager Straße geht. Dort haben sich mehrere hundert Interessierte versammelt – und die Antifa. Seite an Seite mit der Grünen Jugend demonstriert sie gegen die AfD. Doch es sind nur wenige. Versuche, die Veranstaltung zu stören, scheitern.

Eine Stunde später sitzt Lucke wieder im Auto. Fahrt nach Chemnitz, dem nächsten Auftrittsort. Kurzer Stopp an einer Tankstelle. Mittagessen in einem Schnellrestaurant mit Selbstbedienung. Ein Jägerschnitzel mit Champignon-Rahmsoße und Bratkartoffeln aus der Mikrowelle. „Los, weiter geht’s, sonst halten wir unseren Zeitplan nicht“, drängt ein Begleiter. Schnelle Fahrt über die Autobahn. Am Roten Turm von Chemnitz angekommen, ist für Lucke noch ein kurzer Spaziergang drin, bevor der Regen kommt. Lucke steht auf dem überdachten Podium, schaut mitleidig auf die durchnäßten, ausharrenden Zuhörer, die anschließend Schlange stehen, um vom Spitzenkandidaten ein Autogramm zu bekommen. Noch ein paar Interviews mit Journalisten, dann geht es weiter nach Leipzig.

Den Winsener erwartet hier scharfer Gegenwind. 500 Linksextremisten haben sich auf und um den Simsonplatz versammelt. Mit übertriebenen Jubel-gesten bereiten sie Lucke einen sarkastischen Empfang. Der spielt mit, bedankt sich ironisch für den Applaus. So geht das eine ganze Weile, bis der Antifa der Geduldsfaden reißt. „Halt die Fresse“-Rufe ertönen. „So heftige Anfeindungen habe ich bisher noch nicht erlebt, räumt Lucke später ein. „Das spornt uns nur noch mehr an, jetzt kämpfen wir erst recht, wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln.“

Foto: Bernd Lucke bei einem Wahlkampfauftritt in Dresden: Am Ende stehen die Zuhörer Schlange, um ein Autogramm zu bekommen

 

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