© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Obamas lästiger Konflikt
Die USA und der Ukraine-Konflikt: Washington laviert zwischen Aktionismus und Zurückhaltung
Stefan Michels

Bereits im Vorfeld des separatistischen Referendums in der Ost-ukraine betonte der Sprecher des US-Außenministeriums Jen Psaki, das Ergebnis der „illegalen“ Abstimmung nicht anerkennen zu wollen. Die Wahlgänge „verletzten“ das „Völkerrecht und die territoriale Integrität der Ukraine“ und seien ein Versuch, „weitere Unordnung zu stiften“, so Psaki weiter.

Washington läßt keinen Zweifel daran, daß es Moskau als treibende Kraft hinter der Destabilisierung der Ukraine betrachtet. Die Amerikaner befürchten, daß die politische und militärische Eskalation des Konflikts die geregelte Durchführung der von der Kiewer Übergangsregierung geplanten Präsidentschaftswahlen am 25. Mai unmöglich macht.

Dieser Urnengang sollte den prowestlichen Kräften, die im Februar von der Straße aus die Macht ergriffen hatten, die dringend notwendige demokratische Legitimation verschaffen – und damit auch die von ihnen betriebene Westwendung des Landes politisch absichern.

Kernstück dieser West-anbindung ist das weitreichende EU-Assoziierungsabkommen, dessen ersten Teil der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk im März in Brüssel unterzeichnete. Mit dem Abkommen wurde eine Zusammenarbeit vereinbart, die auf eine „schrittweise Konvergenz im außen- und sicherheitspolitischen Bereich“ abzielt. Die Vertragspartner vereinbarten, daß die Ukraine ihre Teilnahme an zivilen und militärischen Krisenlösungsmissionen der EU ausweitet. Auch die Möglichkeiten zu einer militärtechnischen Kooperation sollen ausgelotet werden.

Tatsächlich hält die Nato schon seit Jahren im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden“ Militärübungen mit der Ukraine und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken auf ukrainischem Boden ab. Die von der US-Armee in Europa (USAREUR) geleitete Übung namens „Rapid Trident“ dient dem Zweck, die „Interoperabilität“ der ukrainischen Streitkräfte mit Nato-Truppen bei friedenserhaltenden Maßnahmen herzustellen. Das diesjährige Manöver ist auf zwölf Tage anberaumt und soll im Juli bei Lemberg nahe der polnischen Grenze abgehalten werden. Das ursprünglich ebenfalls geplante Sommermanöver mit der russischen Armee in Rußland hat USAREUR dagegen abgesagt.

Laut Armeesprecher David Westover „gehen die Vorbereitungen für Rapid Trident weiter, bis uns das Gegenteil mitgeteilt wird“. Damit könnte es im Sommer in der Ukraine zu einer militärischen Lage kommen, wo sich sowohl US-amerikanische als auch (auf der Krim) russische Truppen im Land aufhalten.

Im Unterschied zu den kontinental begrenzten Aspirationen der EU denkt die Weltmacht USA in globalen Zusammenhängen. Ungeachtet wirtschaftlicher Engagements einiger Ener-giekonzerne (JF 13/14)haben die Vereinigten Staaten keine vitalen Interessen am Schwarzen Meer zu verteidigen. Weder ihre nationale Sicherheit noch ihre eigene Energieversorgung sind in Gefahr.

Präsident Obama ist sich schmerzlich bewußt, daß sein Land unter dem geostrategischen Problem leidet, das der Historiker Paul Kennedy treffend als „imperiale Überdehnung“ bezeichnet hat: zu viele Bündnisverpflichtungen, zu viele Kriege, zu starke Verzettelung der Kräfte. Ungewöhnlich ungeschminkt verteidigte er auf seiner Asienreise seine defensive Außenpolitik mit dem Hinweis auf den erlittenen Substanzverlust „durch ein Jahrzehnt Krieg mit enormen Kosten für unsere Soldaten und unser Budget“.

McCain kritisiert Erosion der US-Weltstellung

Vor allem seinen neokonservativen Kritikern warf Obama vor, die „Lektion“ im Irak und in Afghanistan nicht gelernt zu haben und das Land in „einen Haufen von militärischen Abenteuern“ stürzen zu wollen, an denen das amerikanische Volk kein Interesse hätte und die nicht den zentralen US-Sicherheitsinteressen dienen würden.

Obama weiß dabei die von Kriegsmüdigkeit gezeichnete öffentliche Meinung auf seiner Seite. Trotz der Zuspitzung der Krise lehnen weiterhin knapp zwei Drittel der US-Bürger die Lieferung von Waffen und militärischem Gerät an die Regierung in Kiew ab. Gleichwohl befürwortet eine leichte Mehrheit zusätzliche ökonomische und diplomatische Sanktionen gegen Moskau.

Der republikanische Senator John McCain, der profilierteste innenpolitische Kritiker von Obamas Kurs, sieht dagegen die Erosion der amerikanischen Weltstellung durch die Beflissenheit verursacht, mit der die US-Regierung ihren außenpolitischen Rückzug rund um den Globus betreibe. Obamas Dialogbereitschaft untergrabe das Vertrauen der Osteuropäer und anderer Verbündeter in die Standfestigkeit der Amerikaner, für freiheitliche Werte einzutreten, und werde von kühl kalkulierenden Gegnern wie Rußland, China und Iran als Schwäche ausgelegt und ausgenutzt.

Der Politik der Bundesregierung warf McCain vor, von den Interessen ihrer „Industrielobby“ am Rußlandgeschäft fremdbestimmt zu werden. Zusammen mit Amtskollegen seiner Partei arbeitet der Senator an einem Gesetzentwurf, der direkte militärische Hilfe in Höhe von 100 Millionen Dollar an die Ukrainer auf den Weg bringen soll. Diese Ausrüstung soll einer weiteren „russischen Eskalation“ vorbeugend entgegenwirken.

Obama setzt dagegen weiter auf eine reaktive Sanktionspolitik. Das letzte Hilfspaket an Kiew enthielt ausschließlich nichttödliches Militärmaterial. Allerdings könnte der kürzliche Besuch des CIA-Direktors John Brennan in der ukrainischen Hauptstadt auf eine neue Phase bei der nachrichtendienstlichen Kooperation hinweisen. Im Gegensatz zu McCain, der unverkennbar der Rhetorik und den Denkmustern des Kalten Krieges verhaftet ist, bleibt für Obama die Ukraine-Krise – wie auch der syrische Bürgerkrieg – nur eine ungelegene Ablenkung von der als überfällig erachteten Hinwendung der USA nach Asien.

Foto: US-Vizepräsident Joe Biden (l.) und der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk bei einem Treffen in Kiew (22. April 2014): Keine Militärhilfe, dafür aber ein enger Schulterschluß gegen Moskau

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