© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Der interkulturelle Glanz trügt
Plagiatsplattform VroniPlag: Neben Politikern stehen mittlerweile auffallend viele Akademiker mit Migrationshintergrund am digitalen Pranger
Christian Schwiesselmann

Jubelmeldung auf Jubelmeldung feiert das Bildungsministerium Deutschland als attraktiven Forschungsstandort für Wissenschaftler aus aller Welt. Schon vor zwei Jahren stammten in der Max-Planck-Gesellschaft – einem Aushängeschild der deutschen Wissenschaft – 49 Prozent der Doktoranden, 86 Prozent der Postdoktoranden und 31 Prozent der Direktoren aus dem Ausland, jubelte Johanna Wanka (CDU) Ende Februar 2014 voller Stolz in den Presseäther: „Unsere Aktivitäten, ausländische Forscher anzusprechen und deutsche Wissenschaftler für eine Rückkehr zu gewinnen, tragen Früchte. Diesen Kurs werden wir fortsetzen.“

Tatsächlich wächst die Zahl ausländischer Studenten, die anders als deutsche Studenten im Ausland in der Regel keine Studiengebühren entrichten müssen, rasant. Im Wintersemester 2012/2013 kletterte sie auf die Rekordmarke von 205.000, Tendenz weiter steigend.

Fast die Häfte der Verdachtsfälle multikuturell

Dank üppiger Stipendien und steuergeldgesättigter Förder- und Austauschprogramme sind die im Amtsdeutsch so genannten Bildungsausländer bei zehn Prozent Gesamtanteil am deutschen Hochschulsystem in den Excellenzclustern (24 Prozent) und Graduiertenschulen (36 Prozent) deutlich überrepräsentiert.

Doch der interkulturelle Glanz deutscher Hochschulen trügt: Auf der Plagiatsplattform VroniPlag, die nach der plagiierten Dissertation der Stoiber-Tochter Veronica Saß benannt wurde und unter anderem den FDP-Politik-Migranten Jorgo Chatzimarkakis, Bijan Djir-Sarai sowie Margarita Mathiopoulos den Doktortitel gekostet hat, sind seit längerem auffällig viele Plagiatsfälle von Nachwuchswissenschaftlern mit Migrationshintergrund dokumentiert. Fast die Hälfte der über 80 Hochschulschriften unter Plagiatsverdacht stammt aus der Feder von Akademikern nichtdeutscher Herkunft.

Nicht nur Provinzuniversitäten sind betroffen. An der Humboldt-Universität zu Berlin hat sich beispielsweise der Staatsrechtler Ulrich Battis, der 2010 gegen die Extremismusklausel des Bundesfamilienministeriums gutachtete, bei der Betreuung eines chinesischen Doktoranden in die Nesseln gesetzt. Wie die Plagiatsjäger mit den vielsagenden Pseudonymen „Plagin Hood“ oder „WiseWoman“ – hinter letzteren verbirgt sich die an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin lehrende Medieninformatikerin Debora Weber-Wulff – von VroniPlag herausfanden, schmückte sich Weizhong Yi auf beinahe der Hälfte aller Seiten seiner Doktorarbeit über das chinesische Parlamentsrecht mit fremden Federn.

Ähnlich systematisch plagiierte der aus Jordanien stammende Jurist Mohamed Al Awabdeh, der über die Kompatibilität des Islamischen Rechts mit den Menschenrechten promovierte. Die beiden in Englisch verfaßten Schriften dürften das internationale Renommee, auf das gerade die Humboldt-Universität schielt, nicht gemehrt haben.

Auch an der Technischen Universität Dresden hat man sich vom Exotenbonus eines ausländischen Doktoranden täuschen lassen. Rodrigo Herrera erhielt für seine englischsprachige Promotionsschrift über statistische Effekte im Risiko-Management nicht nur den Dr. rer. pol., sondern auch den Dr. Feldbausch-Förderpreis 2009. Nachdem die Plagiatsjäger auf 32 Prozent aller Seiten verschleierte Übernahmen aus Fremdtexten entdeckt hatten, mußte der Promotionsausschuß handeln. Herrera durfte den Doktorhut behalten, „obwohl wissenschaftliches Fehlverhalten in nicht unerheblichem Ausmaß vorliegt“. Den Förderpreis kassierten die Professoren der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät aber Anfang 2014 reumütig.

Augenfällig ist, daß sich die Plagiatsfälle bei bestimmten Disziplinen und Themenstellungen häufen. So im Fach Internationale Beziehungen und Politische Ökonomie an der Technischen Universität Aachen. Hier beispielsweise die Doktorarbeit des gebürtigen Iraners Shahram Sheikhzadeh über das „außen- und sicherheitspolitische Verhalten der USA nach dem 11. September 2001“. Sheikhzadeh, der an der Azad-Universität Teheran Politikwissenschaften studierte, kopierte ganze Seiten – insgesamt über 35 Prozent – von fremden Autoren ohne Quellenangabe. Die in gebrochenem Deutsch formulierte Kurzfassung der Dissertation auf dem Server der TU bietet eine mögliche Erklärung für die wissenschaftlich unredliche Arbeitsweise.

Ein zweiter Doktorand, der 1977 in Al-Turrah geborene Jordanier Muwafaq Abu-Hammoud, trieb es noch ärger. Er bediente sich laut VroniPlag bei der Abfassung seiner Dissertation über „Globalisierung, Global Governance und Demokratie“ (2007) nicht nur aus einer fremden Studienarbeit, sondern auch aus seiner eigenen Aachener Magisterarbeit „Globalisierung und Demokratie“ (2004). Der Befund der Experten: „Die Dissertation stellt eine Erweiterung der Magisterarbeit dar, wobei bereits eine grobe Gegenüberstellung beider Texte mittels der VroniPlag-Vergleichsfunktion erweist, daß der Inhalt der Magisterarbeit größtenteils (und auch großteils wörtlich) in die Dissertation übernommen worden ist.“

Ein besonders großer Eklat zeichnet sich in der deutschen Universitätsmedizin ab. Das grundständige Promotionsrecht der medizinischen Fakultäten, an denen die Studenten ihre Doktorarbeit in der Regel in wenigen Monaten während der ärztlichen Ausbildung verfassen können, steht ohnehin seit Jahren als „Türschildforschung“ in der Kritik.

Ulrike Beisiegel, Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates, kritisierte etwa 2010 in der Süddeutschen Zeitung: „Nur etwa zehn Prozent der medizinischen Doktorarbeiten erfüllen das Kriterium, das in jedem anderen Fach für eine Promotion gilt: daß sie eine wenn auch kleine Lücke in einer noch offenen wissenschaftlichen Fragestellung schließt.“ Vom Umfang und Anspruch her seien diese Arbeiten eher mit den Magister- und Diplomarbeiten anderer Fächer vergleichbar.

Erst Deutsch lernen, dann promovieren

In jüngster Zeit haben die VroniPlag-Aktivisten elf medizinische Dissertationen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an den digitalen Pranger gestellt, darunter sechs von Ärzten mit Migrationshintergrund. Den Vogel schoß dabei Georgios Triantafyllou ab, der mit seinen Untersuchungen über die Morphologie, Größe und Verteilung der retinalen Ganglienzellen im Auge des Affen Macaca fascicularis (2010) eine Dissertation aus dem Vorjahr zu 100 Prozent kopierte. Auch dieser Dissertation über die Netzhaut des Marmosetaffen Callithrix jacchus zum Dr. med. dent. konnte VroniPlag wiederum Textübernahmen aus fremden Dissertationen vergangener Jahre zu über 94 Prozent nachweisen. Ein schachtelartiges Promotionsbetrugssystem, das eines Tatortes aus Münster würdig wäre!

Betreuer dieser und weiterer umstrittener Forschungsarbeiten war ein Mitglied eines Exzellenzclusters, Solon Thanos, der Arbeitsgruppenleiter für Experimentelle Augenheilkunde am Münsteraner Universitätsklinikum. Der Inhaber zweier Doktorgrade will die Identität beider Doktorarbeiten trotz sprachlicher Unzulänglichkeiten und stilistischer Brüche im Text nicht bemerkt haben. „Es waren unterschiedliche Arbeiten“, rechtfertigte sich Thanos in der Lokalpresse, aber man nutze die gleichen Methoden und lese natürlich die Laborprotokolle der Vorgänger. Nach immer neuen Plagiatsfällen an der Fakultät sprechen die Westfälichen Nachrichten unterdessen von einem „Flächenbrand“.

Die Ursachen für das wissenschaftliche Fehlverhalten sind bei den Institutionen, Professoren und Doktoranden gleichermaßen zu suchen. Die Justus-Liebig-Universität Gießen hat zum Beispiel nicht nur bei der juristischen Dissertation von Frank-Walter Steinmeier, sondern auch bei mehreren medizinischen Doktorarbeiten mehrerer Migranten beide Augen zugedrückt. Dr. iur. Steinmeier, Dr. med. Hüdayi Korkusuz und Dr. med. Dr. med. dent. Hakan Tastan dürfen ihre Grade weiter tragen, obwohl ihnen die Plagiatsjäger zum Teil schwerere Verfehlungen nachweisen konnten als Ex-Bildungsministerin Annette Schavan, die bekanntlich ihren Düsseldorfer Dr. phil. verlor.

Eitelkeit und Sucht nach internationaler Anerkennung setzen auf der Seite der Professoren vielerorts die Sorgfaltspflicht bei der Betreuung von Qualifikationsschriften schachmatt. Studenten von Partnerunis im Ausland werden hofiert und – wie Insider auch von postgraduellen Forschungseinrichtungen berichten – überbenotet, weil im Gegenzug eine Einladung zu einem Forschungsaufenthalt oder ein Dr. h. c. im Nahen oder Fernen Osten winkt.

Bei den betroffenen Doktoranden mit Migrationshintergrund liegt die Sache noch einfacher: „Plagiate entstehen zumeist aus Zeitdruck, Bequemlichkeit, Unsicherheit oder einer Kombination dieser Faktoren“, heißt es auf GuttenPlag, der Mutter aller Plagiatsplattformen, die nach dem an seiner juristischen Dissertation gescheiterten CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg benannt wurde. Vielen Nachwuchswissenschaftlern mangelt es schlicht und ergreifend an den nötigen Deutschkenntnissen. Während institutionelle Reformen oder professorales Umdenken Zeit brauchen, ließe sich hier am schnellsten Abhilfe schaffen: Erst Deutsch lernen, dann promovieren.

 

VroniPlag – Jäger der Plagiatoren

VroniPlag ist eine Plattform anonymer Plagiatsjäger, die Fälle unsauberen wissenschaftlichen Arbeitens dokumentieren. Sie entstand aus der Analyse der juristischen Dissertation des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg und ist nach der Stoiber-Tochter Veronica Saß benannt, die ebenfalls ihren Dr. jur. verlor. Die „kollaborative Plagiatsdokumentation“ hat laut Statistik 18 aktive Mitglieder, die zum Teil selbst aus der Wissenschaft stammen. Bislang konnten sie Fremdtextübernahmen ohne Quellenangaben in 79 Dissertationen, drei Habilitationen, einer Masterarbeit und einer Einführung in wissenschaftliche Arbeitsmethoden nachweisen. Die kritische Schwelle für die Untersuchung einer Arbeit nach Plagiaten liegt bei zehn verdächtigen Textstellen. In 18 Fällen (inklusive Karl-Theodor zu Guttenberg) haben die Universitäten überführten Absolventen den jeweiligen akademischen Grad entzogen.

de.vroniplag.wikia.com

Foto: Nicht immer nur harte Arbeit mit der Doktorarbeit: Kopieren und Einfügen feiert vor allem durch die digitale Welt fröhliche Urständ

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