© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Pankraz,
A. Dugin und die Schimäre Eurasien

Auch über Schimären, bloße Hirngespinste, läßt sich fruchtbringend reden, manchmal ist das sogar nötig. Der Moskauer Politologieprofessor Alexander Dugin, ein sehr kluger und beredter Herr, hat es zur Zeit mit der Schimäre „Eurasien“. Die Zukunft des Planeten, doziert er auf der Spur von Carl Schmitt, werde bestimmt vom Kontrast zwischen „Seeschäumern“ einerseits, „Landtretern“ andererseits, und deren Kraftzentren seien auf Seeschäumerseite die USA, auf Landtreterseite das „eurasische“ Rußland. Alle übrigen politischen Kräfte hätten sich an diesen beiden magnetischen Polen auszurichten, Punktum.

Die Welt ist also in der Sicht von Dugin strikt zweigeteilt, es herrscht Bipolarität, genau wie sie zur Zeit auch auf „westlicher“ Seite vielerorts postuliert wird. Hier der gute, US-dominierte Westen, dort der böse, Putin-dominierte Osten – das ist das Schema, mit dem wir hierzulande tagtäglich medial überzogen werden. Pankraz hält derlei Bipolarismus für völlig lebensfremd und zukunftsohnmächtig, und er möchte das im folgenden einmal am Beispiel des Duginschen „Neo-Eurasismus“ knapp illustrieren.

Das „Eurasien“ des Alexander Dugin als geographisch und kulturell fixierbare Entität gibt es gar nicht; Pankraz hat das seinerzeit in seinem Buch „War Platon in Asien? Adnoten zur Globalisierung des Geistes“ (Schnellroda 2008) ausführlich dargelegt. Was es gibt, sind deutlich voneinander abgrenzbare Kulturkreise: der europäische, der islamische, der chinesische, der indische. Natürlich beeinflussen sich diese Kulturen gegenseitig, durchdringen sich auch manchmal, bilden Übergangszonen und Inseln aus, doch ihre Identität bleibt erhalten.

Was Rußland betrifft, so war es von Anfang an ein Teil Europas, mit dessen anderen Ländern und Geschlechtern es stets in intimem Austausch stand. Daran änderte auch die Kolonisierung der ungeheuren Weiten jenseits des Urals nichts und nicht einmal die Eroberung des Kaukasus und Mittelasiens. Die in diesen Räumen lebenden Völker wurden nicht russifiziert, allenfalls in jüngster Zeit „bolschewisiert“, das heißt vom christlichen beziehungsweise islamischen Glauben gewaltsam abgehalten und in gröbster Weise säkularisiert.

Heute streben diese „eurasischen“, einst zum russischen Reich gehörenden Völker keineswegs – wie Dugin das erhofft – zurück zum „eurasischen Mütterchen Rußland“, sondern suchen kulturellen Anschluß an die technische Moderne des „Westens“ und/oder richten sich in den Glaubensvorschriften des Islam ein. Weiter östlich aber, in den unermeßlichen Wäldern und Steppen Sibiriens, ist schon überall der machtvolle Einfluß Chinas zu spüren. Und China gehört nicht zu einem fiktiven Eurasien, sondern zu einem höchst realen Asien, das nicht daran denkt, sich von irgendwelchen Moskauer Magneten ablenken zu lassen.

Der sogenannte „Ferne Osten“ Rußlands ist äußerst dünn von Russen besiedelt, während die Chinesen jenseits der Staatsgrenzen nur darauf zu warten scheinen, daß ihre Einwanderung in die Gebiete zwischen Wladiwostok und Irkutsk endlich erleichtert werde. Große Teile dieses „leeren“ Landes wurden einst den Chinesen weggenommen und per Staatsvertrag offiziell dem russischen Zarenreich zugeschlagen. China hat sich mit diesen „ungleichen Verträgen“ nie abgefunden und würde die baldige Annullierung nur als längst fällige Wiedergutmachung erlittenen Unrechts empfinden.

Um es klipp und klar zu sagen: „Eurasien“ ist nicht nur eine geopolitische Schimäre, sondern auch eine realpolitische Unmöglichkeit. Daß Alexander Dugin auf so einem Schaukelpferd herumreitet, ist bekümmerlich, denn es schadet seinem Ruf, der doch gerade in jüngster Zeit so eindrucksvoll aufgeblüht ist. Pankraz meint das Erscheinen von Dugins monumentalem Buch über Heidegger, das zu Recht weithin als seriöse Sensation empfunden wird und dessen deutsche Übersetzung leider noch aussteht. Sein Titel lautet: „Chajdegger: Wosmoshnost russkoj filosofii“, zu deutsch „Heidegger: Die Möglichkeit einer russischen Philosophie“.

Dugin, der russische Pa-triot, konstatiert darin zunächst einmal, daß eine der westeuropäischen Philosophie vergleichbare Weisheitslehre in Rußland nie existiert habe, alles sei im Grunde nichts als Theologie gewesen, siehe Solowjow, Florenski, Bul-gakow. Jenseits davon habe es in Rußland immer nur „Chaos“, wortreiches Verströmen im puren Raum gegeben.

Der Westen, heißt es weiter, habe den russischen Denkern aber auch immer nur Anlässe geliefert, echte Dialoge zu verweigern. Sein untilgbarer Hang zur Systematisierung und Verbequemlichung der Welt hätte nur Verachtung auslösen können – bis Heidegger kam! Dieser endlich habe nicht nur die ganze „klassische“ europäische Philosophie, von Platon bis Nietzsche, glorios auf den Punkt gebracht und sie so gleichsam „erledigt“, sondern er habe mit seiner Versprachlichung des „Da-Seins“ das Modell geliefert, mit dessen Hilfe nun auch das russische „Raumdenken“ überzeugend versprachlicht werden könne.

Martin Heideggers „Da-Sein“, so Dugin, sei primär an der Zeitlichkeit orientiert, die Befindlichkeiten der „Räumlichkeit“ seien dabei etwas zu weit aus dem Fokus des nachdenklichen Sprechens weggerückt worden. Hier also sollte ein genuin russisches Denken mit allem Respekt korrigierend, oder besser: ergänzend, eingreifen. Denn, Zitat Dugin: „Unser Philosophieren wird notwendigerweise chaotisch sein, denn das Russentum selbst ist das Chaos, und sein Da-Design ist das Sein der Erde (…) und wir sind die Träger der Philosophie dieser Erde.“

Pankraz war bei der Lektüre der Passage etwas irritiert, zumal Dugin auch noch, richtig genüßlich, auf den phonetischen Fast-Gleichklang von „Da-Sein“ und „Design“ hinweist. An der Originalität und Dialogfähigkeit von dessen Buch aber ändert das nichts. Und es ist kein schimärisch-eurasischer, es ist ein deutsch-russischer, ein europäischer Dialog.

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