© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Eine Göttin und zwei schöne Prinzessinnen
Klassizismus: Zum 250. Geburtstag des Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow
Reinhold Böhnert

Die Stadt Berlin hat in ihrer mehrhundertjährigen Geschichte nur einen einzigen bedeutenden bildenden Künstler hervorgebracht. Er wurde am 20. Mai 1764 als Sohn eines Schneidermeisters geboren und hieß Johann Gottfried Schadow. Alle anderen bekannten Namen der Berliner Kunstgeschichte – Schlüter, Schinkel, Menzel, Corinth, Kirchner und wie sie alle hießen – waren durchweg Zugereiste. Bei einem von ihnen, dem Flamen Jean Pierre Antoine Tassaert aus Antwerpen, lernte Schadow von 1779 bis 1783 das Bildhauerhandwerk und wurde nach einem Italienaufenthalt 1788 auch dessen Nachfolger als Leiter der Hofbildhauerwerkstatt. Schon ein Jahr später erhielt er vom König persönlich seinen ersten Großauftrag: das Grabmal des Grafen Alexander von der Mark, eines unehelichen Sohnes Friedrich Wilhelms II., für die Dorotheenstädtische Kirche (heute in der Nationalgalerie).

Dieses Grabmal steht am Beginn des Klassizismus in der deutschen Bildhauerei und ist eines des mehr als 300 Werke umfassenden Œuvres, das eine in der neueren Kunstgeschichte nicht ganz seltene Besonderheit – man denke nur an die Expressionisten – aufweist: Schadow gehört zu jenem Typ von Künstlern, der bereits früh am Ziel ist. Alle seine großen Schöpfungen entstehen in den 1790er Jahren.

Weltberühmt gemacht hat den Künstler die Quadriga auf dem Wahrzeichen Berlins, dem Brandenburger Tor, das nach einem Entwurf von Carl Gotthard Langhans seit 1788 im Bau war. Pläne, den vom Schloß kommenden Boulevard Unter den Linden mit einem prächtigen Stadttor abzuschließen, hatte es schon unter Friedrich dem Großen gegeben, aber erst Friedrich Wilhelm II. brachte Bewegung in die Sache, nicht zuletzt weil sie die willkommene Gelegenheit bot, an herausgehobener Stelle zu demonstrieren, daß ein neues Zeitalter begonnen hatte. Langhans trug dem Rechnung, indem er nicht an Barock und Rokoko anknüpfte, sondern an die Propyläen, das Eingangstor zur Athener Akropolis aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert.

Schadow war für den Bauschmuck zuständig, der auch griechisch sein mußte: die Reliefs an den Innenwänden und als Krönung des Ganzen über dem mittleren der fünf Durchgänge ein von vier Pferden gezogener antiker Streitwagen, gelenkt von einer in ein weites Gewand gekleideten, geflügelten Frau. Schadow hätte seine Schöpfung gern in Bronze gegossen, aber dazu fehlten in Preußen die technischen Voraussetzungen. Die gewaltige Gruppe wurde deshalb von dem Kupferschmied Emanuel Jury und einem Potsdamer Klempnermeister in Kupfer getrieben.

Wir halten die Wagenlenkerin für die Siegesgöttin Nike; die Römer nannten sie später Viktoria. Erkennbar ist Nike an den Flügeln, die sie als Himmelsbotin trägt, und an dem Lorbeerkranz, den sie für den Sieger bereithält. Man fragt sich aber, welcher Sieg und welcher Sieger wohl um das Jahr 1790 gefeiert werden sollten. Der letzte Krieg, der Siebenjährige von 1756 bis 1763, lag lange zurück. Vielleicht ist die Nike dann doch eher – oder auch – die Göttin Eirene, die ein Zeitalter des Friedens verkündet. Friedrich Wilhelm II. war kein Krieger wie Friedrich der Große. Seine Friedenshoffnung erfüllte sich allerdings nicht. Ein neues kriegerisches Zeitalter, das bis 1815 andauern sollte, kündigte sich bei seinem Regierungsantritt schon an.

Von Napoleon als Beute 1806 nach Paris verschleppt, kehrte die Quadriga nach dessen endgültigem Sturz, inzwischen restauriert und durch Schinkels Eisernes Kreuz ergänzt, 1814 an ihren alten Platz zurück – diesmal unverkennbar als ein Siegeszeichen. Im Zweiten Weltkrieg ist sie fast vollständig zerstört worden. Was wir heute auf dem Brandenburger Tor sehen, ist eine Kopie.

Noch vollständig und unversehrt erhalten ist dagegen Schadows kaum weniger bekanntes frühes Meisterwerk, das heute in der Alten Nationalgalerie steht, gleichsam den Eintretenden begrüßend: das Doppelstandbild Luises und Friederikes von Preußen. Die beiden Prinzessinnen stammten aus Mecklenburg-Strelitz und waren die Töchter Herzog Karls II. 1793, Luise am 24. Dezember und Friederike zwei Tage später, heirateten sie im Berliner Schloß den preußischen Kronprinzen und dessen jüngeren Bruder Ludwig. Bis zu Ludwigs frühem Tod 1796 lebten die Geschwisterpaare im Kronprinzenpalais Unter den Linden und waren das Entzücken der Berliner, besonders die „himmlisch schönen“ Prinzessinnen.

Wer auf die Idee kam, die beiden als Bildwerk zu verewigen, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich war es Staatsminister Friedrich Anton von Heinitz, der auch die Akademie der Künste und die Porzellan-Manufaktur leitete. Ihm schwebte ursprünglich wohl ein Doppelstandbild aus Porzellan vor, geeignet zum Verkauf und nicht zuletzt zur Werbung für das preußische Herrscherhaus. Schadow erhielt zunächst den Auftrag zu zwei Ton-Büsten, zu denen Luise und Friederike mehrfach Modell sitzen mußten. Der Künstler gedachte nicht, die hohen Herrschaften zu schonen. „Ähnlichkeit“ stand für seinen, wie er selbst sagte, „an List grenzenden Beobachtungsgeist“ über allem.

Schadows Prinzessinnen grenzen an eine Provokation

Der König und Heinitz scheinen zufrieden gewesen zu sein. Schadow durfte sich nun an einem lebensgroßen Doppelstandbild versuchen. Das geschah zunächst in Gips. Diese Urfassung ist erhalten und war bis vor kurzem noch in der Friedrichwerderschen Kirche zu sehen, zum ersten Mal aber auf der Berliner Akademieausstellung von 1795. Die Mehrzahl der Besucher applaudierte begeistert, und der Ruf nach einer Version in Carrara-Marmor wurde laut.

Der König, der die Ausstellung gesehen haben könnte, ließ sich von Heinitz überreden, dazu seine Einwilligung zu geben. Auch hielten sich die Kosten, die ohnehin von der Porzellan-Manufaktur getragen wurden, in Grenzen. Ein am 16. Januar zwischen Schadow und Heinitz abgeschlossener Vertrag regelte die Konditionen. Schadow verlangte ein moderates Honorar von 5.000 Talern und verpflichtete sich, seine Arbeit innerhalb von 18 Monaten abzuschließen, was mit wenig Verzögerung auch geschehen ist. Dabei muß man wissen, daß bei der Marmorfassung seines Werkes Schadow selbst nur letzte Hand angelegt hat. Die Hauptarbeit erledigte ein versierter Mitarbeiter aus seiner Werkstatt.

Auf der wieder am Geburtstag des Königs am 25. September eröffneten Akademieausstellung von 1797 waren die Prinzessinnen erneut der konkurrenzlose Höhepunkt. Sie befanden sich jetzt auf einem Sockel aus schlesischem Marmor, geschmückt mit zwei Blumenkränzen, die ihre Namen umschlossen. Ob man die Skulptur in der Akademie umschreiten konnte, ist nicht überliefert. Schadow hatte sie jedenfalls als freistehend angelegt, und insofern ist ihr heutiger Standort in einer Nische nicht der beste. Gips- und Marmorfassung unterschieden sich nur in Kleinigkeiten. Verschwunden war jedoch das etwas überflüssige Blumenkörbchen, das Luise in der rechten Hand gehalten hatte.

Friedrich Wilhelm II., der am 16. November nach langer Krankheit starb, hat die Marmor-Prinzessinnen nicht mehr in Augenschein nehmen können. Seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm III. waren sie „fatal“, weil zu natürlich, und außerdem: Sollten individuelle weibliche Personen, selbst wenn es sich um Prinzessinnen handelte, überhaupt so aufwendig – und auch noch lebensgroß – durch die Kunst in Szene gesetzt werden? In der Tat: Was Schadow gewagt hatte, war in der Bildhauerei bisher noch nicht vorgekommen und grenzte an eine Provokation. Seine Prinzessinnen verschwanden schon bald in einem Nebenraum des Berliner Schlosses und wurden vergessen, 1906 dann aber von der großen Jahrhundertausstellung wiederentdeckt. Seit 1921 stand die Skulptur im Schloß etwas günstiger und seit 1949, wie gesagt, in der Nationalgalerie.

Johann Gottfried Schadow starb am 28. Januar 1850 in Berlin, hochangesehen auch als Direktor der Akademie der Künste und als Schriftsteller. Seine Lebenserinnerungen („Kunstwerke und Kunstansichten“) gehören zu den ergiebigsten Quellenwerken zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte.

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