© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Blockwarte ohne Publikum
Internet: Das Luxemburger Urteil gegen die Suchmaschine Google ist zweischneidig
Henning Hoffgaard

Was bei Google nicht zu finden ist, existiert nicht. Umgekehrt gilt: Was bei Google zu finden ist, wird nie wieder vergessen. Die amerikanische Internetsuchmaschine hat einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Das Unternehmen ist zugleich der größte Datenhändler und -sammler unserer Zeit.

Kurz gesagt: Google-Chef Larry Page ist einer der mächtigsten Männer der Welt. Das Geschäftsmodell ist die Sortierung aller Daten im Internet anhand ihrer durch geheimgehaltene Algorithmen berechneten Relevanz. Alles was jemals auf einer Internetseite, und sei es noch so ein unbekannter Blog, geschrieben wurde, wird durch Google eingelesen und weiterverbreitet. Googles Macht beruht darauf, daß die Aushebelung des Datenschutzes und der Privatsphäre durch Dritte geduldet wird.

Mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH), daß jeder EU-Bürger ein Recht darauf hat, die Einträge in der Suchmaschine zu seiner Person zu kontrollieren und gegebenenfalls zu löschen, könnte sich das Internet von Grund auf verändern. Googles Geschäftsmodell, wirklich alles zu finden und zu verbreiten, steht vor dem Aus. Zumindest in der Europäischen Union.

Die erfolgreiche Klage eines Spaniers, der einen Zeitungsbericht über die Pfändung seiner Wohnung aus den Google-Trefferlisten löschen lassen will, führt zu einer paradoxen Situation. Die einen feiern einen Erfolg für das Recht auf Privatsphäre, die andere Seite warnt vor einem Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit.

Fakt ist, seit Jahren hat sich im Internet eine Form der virtuellen Klowand entwickelt, auf der sich jeder anonym über seine Mitmenschen auslassen kann. Seien es Mitschüler, Nachbarn oder völlig Fremde. Es kann jeden treffen. Immer. Die Seitenbetreiber sind meist nicht auszumachen. Die Anschuldigungen, Verleumdungen und desavouierenden Fotos blieben bisher Google sei Dank bis in die Ewigkeit öffentlich. Viele machen sich keine Gedanken, welche Folgen ihr Mitteilungsbedürfnis über sich und andere später haben kann.

Gerade Linksextremisten haben diese Form des virtuellen Prangers in den vergangenen Jahren zur Perfektion getrieben. Politische Gegner werden samt illegaler Fotoaufnahmen, Adressen und übler Verleumdungen in die Öffentlichkeit gezerrt. Irgendwas bleibt bei Arbeitgebern, Freunden und Verwandten immer hängen.

Das Ergebnis: Kündigungen, soziale Isolation, zerstörte Existenzen. Google hat sich freiwillig zum Katalysator der linken Blockwarte gemacht. Wer hier ernsthaft mit der Meinungsfreiheit argumentiert, handelt entweder naiv oder böswillig. Es gibt kein Recht darauf, die Privatsphäre seiner Mitmenschen zu durchschnüffeln.

Gegner des EuGH-Urteils argumentieren, Google biete bereits jetzt die Möglichkeit, illegale Links aus den Trefferlisten zu löschen. Das stimmt allerdings nur auf den ersten Blick. Das Unternehmen hat die entsprechenden Online-Formulare gut versteckt. An vielen Stellen wird dann schlicht empfohlen, sich bei diffamierenden Einträgen an den Seitenverantwortlichen zu wenden. Ein netter Scherz, wenn die entsprechenden Server in der Karibik stehen. Nun zeigt sich, daß die Suchmaschinenanbieter die von ihnen miterschaffenen Möglichkeiten des Internets selbst nie verstanden haben. Das Schicksal des einzelnen ist den multinationalen Konzernen egal.

Auch die nun aufkommenden Zensur-Befürchtungen haben mit der Realität wenig zu tun. Schon jetzt filtern und zensieren die einzelnen Staaten munter in den Suchmaschinen, die wiederum selbst eng mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeiten. Hier zensiert der Staat gegen die Bürger. Umgekehrt kann sich nun jeder gegen staatliche und halbstaatliche Schnüffler wehren und ihnen das Leben etwas schwerer machen.

Der Hinweis, daß die eigentlichen Seiten, auf denen die Privatsphäre der Betroffenen verletzt wird, trotz der Löschung in der Suchmaschine weiterbestehen, stimmt. Allerdings gilt hier auch weiter: Was Google nicht findet, existiert nicht.

Ganz unproblematisch ist die Entscheidung der Richter jedoch nicht. Auf die Frage, welche Inhalte ab welcher Zeit gelöscht werden dürfen, gibt es keine Antwort. Ausdrücklich hat das EuGH hervorgehoben, daß auch zutreffende Informationen gelöscht werden dürfen. Ausgenommen davon bleiben „Personen des öffentlichen Lebens“. Auch hier bleibt die Frage, wer denn nun zu den öffentlich relevanten Personen gehört?

Vieles wird davon abhängen, wie die Suchmaschinenanbieter und die Gerichte in den Nationalstaaten auf das Urteil reagieren. Wird Google sich aus der EU zurückziehen? Werden die Gerichte das Urteil aufweichen? Und werden eventuell neue Suchmaschinen im außereuropäischen Ausland entstehen, die sich nicht an das EU-Recht halten? Zumindest letzteres dürfte erfolglos bleiben. Googles Marktmacht ist nicht zu brechen. Die meisten haben sich längst an das Unternehmen gewöhnt. Die schon jetzt bestehende Konkurrenz wie Microsofts „Bing“ ist ebenfalls von dem Urteil betroffen und hatte nie eine echte Chance gegen Google.

Trotz aller Vorteile der Entscheidung, die endlich ein Recht auf die informationelle Selbstbestimmung schafft, bleibt ein leicht bitterer Beigeschmack. Erstmals hat der Gerichtshof eine Art von EU-Internet geschaffen, in der andere Regeln gelten als im Rest der Welt. Es steht zu befürchten, daß die Brüsseler Politiker bereits Pläne schmieden, ihr ganz eigenes Korsett um das Netz zu legen.

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