© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

„Wir sind eine revolutionäre Partei“
Hans-Olaf Henkel war lange Deutschlands bekanntester Euro-Rettungskritiker. Nun führt er mit Parteichef Lucke die AfD-Europawahlliste an.
Moritz Schwarz

Herr Professor Henkel, warum wollen Sie sich im Europaparlament statt im Währungsausschuß in dem für Menschenrechte engagieren?

Henkel: Bernd Lucke wird im Währungsausschuß plaziert. Es werden nicht zwei von uns dort hineinkommen.

Menschenrechtsarbeit ist höchst ehrenwert, aber die Bürger wählen Sie doch in der Erwartung, daß Sie Euro-Politik machen.

Henkel: Mit den Professoren Lucke und Starbatty bietet die AfD mehr Währungskompetenz auf als alle anderen Parteien zusammen. Natürlich engagiere ich mich in Brüssel für unsere Kernthemen: für die Abkehr vom Einheitseuro und ein Europa souveräner Staaten, aber da wir so viel Währungskompetenz haben, gehe ich in den Menschenrechtsausschuß.

Warum ist das Ihr Wunschausschuß?

Henkel: Ich engagiere mich schon lange für die Menschenrechte. Vor allem Kuba und China interessieren mich. Mit einigen anderen Persönlichkeiten habe ich zum Beispiel eine Gruppe gebildet, die sich hinter den Kulissen für den chinesischen Künstler Ai Weiwei einsetzt. Zudem bin ich, wie Sie wissen, seit langem Mitglied bei Amnesty International.

Was ändert sich, wenn Ihre Partei am 25. Mai voraussichtlich ins Europäische Parlament einzieht?

Henkel: Dann gibt es zum ersten Mal in der deutschen Politik eine parlamentarische Kraft, die klare Alternativen zum Einheitseuro aufzeigt.

Das allerdings ändert noch nichts.

Henkel: Eines habe ich gelernt: Deutschland wird das letzte Land sein, das den Einheitseuro in Frage stellt. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Politikern anderer Euro-Staaten so wichtig. In fast allen diesen Ländern spielen eurokritische Parteien inzwischen eine Rolle, nur in Deutschland nicht. Deshalb ist es nötig, daß mit der Europawahl endlich auch deutsche Politiker die Möglichkeit bekommen, in diesem Sinne gegenüber unserer Öffentlichkeit zu wirken.

Das heißt, es geht in erster Linie nicht um EU-Politik, sondern darum, den verpaßten Bundestagseinzug auszugleichen?

Henkel: Beides. Natürlich aber wären wir am liebsten direkt in den Bundestag gekommen. 2014 stehen drei Landtagswahlen an: in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Wir werden einen Europawahlerfolg auch als Plattform dafür nutzen, um erst in alle deutschen Landtage und dann in den Bundestag einzuziehen.

Aber was wollen Sie in der EU bewirken?

Henkel: Wir werden vor allem gegen den ausufernden Zentralismus kämpfen. Es ist doch verrückt: Im Europawahlkampf treten Union und SPD gegeneinander an, im EU-Parlament stimmen die beiden Parteien dann zusammen mit der FDP für mehr Zentralismus, mehr Harmonisierung und Sozialisierung ab. Das wollen wir aufmischen!

Konkret?

Henkel: Anders als die Altparteien sind wir nicht für einen EU-Zentralstaat, sondern für Föderalismus, wir sind nicht für Harmonisierung, sondern für Wettbewerb, wir sind nicht für Regelungen aus Brüssel, sondern für Subsidiarität, und wir sind nicht für die Vergemeinschaftung von Schulden, sondern für solide Finanzen durch haushaltspolitische Eigenverantwortung. Wenn man so will: Die AfD steht für europäische Vielfalt statt für euromantische Einfalt. Das Problem ist freilich, daß das EU-Parlament kein richtiges Parlament ist, denn es kann nicht einmal Gesetze einbringen. So wird sich unsere Arbeit stark daran orientieren, mit welchen Gesetzesvorlagen uns die EU-Kommission konfrontiert.

Voraussichtlich wird die AfD mit sechs bis acht Mann einziehen. Was kann eine so kleine Gruppe unter über 750 Abgeordneten überhaupt bewirken?

Henkel: Stimmt, aber andererseits: Die Mehrzahl der EU-Staaten sind kleine Länder mit kleinen Delegationen, so daß wir dennoch im Mittelfeld rangieren werden. Außerdem werden wir mit einer besonders leistungsfähigen Truppe auftauchen, die ausschließlich aus Leuten besteht, die alle nicht nur in der Politik, sondern im wirklichen Leben schon etwas geleistet haben – das wird auffallen! Und wir werden Verbündete suchen, um unsere Schlagkraft zu erhöhen.

Viele AfD-Mitglieder würden eine Kooperation mit Nigel Farages britischer Unabhängigskeitspartei Ukip – von der Fraktion „Europa der Freiheit“ – begrüßen. Die Parteiführung favorisiert aber die Fraktion „Europäische Konservative“, in der neben der polnischen PiS von Jarosław Kaczyński und der tschechischen ODS auch die englischen Tories von David Cameron sitzen.

Henkel: Was wir wollen ist, wie die britischen Tories, eine andere – eine schlankere, demokratischere und eigenverantwortlichere – EU. Doch möchte ich über das Thema gar nicht weiter sprechen, um unsere potentiellen Partner nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Denn es ist ein offenes Geheimnis, daß Frau Merkel etwa gegenüber Herrn Cameron deutlich gemacht hat, sie erwarte, daß er vor der Wahl keine Präferenz zu unseren Gunsten äußert. Zur Ukip: Diese Partei will die EU auflösen, das will die AfD nicht. Außerdem betreibt sie derzeit einen Wahlkampf, der recht einseitig gegen Ausländer gerichtet ist. Diese Partei kommt für uns nicht in Frage.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie?

Henkel: Ich rechne mit gar nichts und tue einfach mein Bestes.

In den Umfragen liegt die AfD bei sechs Prozent.

Henkel: Es gibt auch Umfragen, die sie mit bis zu acht Prozent veranschlagen.

Nach der Bundestagswahl erlebte die AfD einen enormen Bekanntheitsschub. Dennoch hat sie nicht mehr als ein Prozent zugelegt. Ist das für Sie nicht enttäuschend?

Henkel: Wenn es gelingt, sechs bis acht Prozent zu holen, erachte ich das auf jeden Fall als Erfolg.

Die Mehrheit der Deutschen sieht den Euro kritisch. Warum gelingt es der AfD nicht, weit mehr Bürger zu gewinnen?

Henkel: Das ist auch das Ergebnis des unglaublichen medialen Sperrfeuers, mit dem man uns belegt, plus des Versuchs der Altparteien, uns zu stigmatisieren. Ich bin davon selbst überrascht, weil ich so etwas vorher noch nicht erlebt habe und in der Bundesrepublik auch nicht für möglich gehalten hätte. Dazu kommen die Angriffe der sogenannten Antifa, die auch vor Gewalt und widerlichen Aktionen nicht zurückschreckt. Was mich etwa jüngst besonders betroffen gemacht hat, war, wie sie in Hamburg einen farbigen, behinderten Jugendlichen im Rollstuhl, den sie vor meinem Rednerpult plazierte, dazu benutzt hat, die Wahlkampfveranstaltung zu stören, indem sie ihn dort „Nazis raus!“ brüllen ließ. Aber ich denke auch daran, wie sie dafür sorgt, daß die AfD-Aktivisten im Wahlkampf um ihre Gesundheit fürchten müssen. Nicht zuletzt verzeichnen wir mancherorts einen neunzigprozentigen Verlust unserer Wahlplakate. Warum pflastern denn die großen Parteien im Wahlkampf alles mit ihren Plakaten zu – was übrigens viel Geld kostet? Weil sie es für ein wirksames Mittel halten, Wählerstimmen zu gewinnen. Wenn nun unsere Plakate verschwinden, ist das also eine schwerwiegende Benachteiligung. Die sich übrigens nicht erst am Wahlabend, sondern auch schon zuvor in den Umfragen auswirkt.

Für CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer steht die AfD „oft hart an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit“.

Henkel: Es ist leider nicht nur die Antifa, die unsere Plakate stiehlt oder unseren Wahlkampf behindert. Mitunter sind es auch unbescholtene, aber fehlgeleitete und fehlinformierte Bürger, die durch solche Aussagen zum Beispiel geradezu dazu aufgewiegelt werden. Diese Dame erfüllt bewußt oder unbewußt alle Voraussetzungen einer Schreibtischtäterin.

Ihre Kritiker sagen, nicht die Medienschelte sei schuld an der relativen Stagnation der AfD, sondern daß sich die Partei inzwischen als konservative oder rechtspopulistische Formation zu erkennen gebe.

Henkel: Hier werden bedauerliche Einzelfälle bewußt verallgemeinert. Nein, es gehört vielmehr zum unausgesprochenen Komment in den deutschen Medien, bloß nichts Positives über uns zu berichten. Erst waren wir die „Professorenpartei“, dann die „Euro-Hasser“, schließlich die „Ein-Themen-Partei“, und nachdem das offenbar nicht so abgeschreckt hat wie gewünscht, sind wir jetzt die „Rechtspopulisten“.

Aber ist die AfD nicht in der Tendenz durchaus eine konservative Partei?

Henkel: Wissen Sie, ich kann nichts dafür, daß die Linke immer weiter in Richtung Sozialismus marschiert und daß die SPD immer weiter in Richtung Linke schwenkt und hinter alles zurückfällt, was Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 erreicht hat. Und ich kann auch nichts dafür, daß die CDU/CSU immer weiter in Richtung SPD driftet. Ich persönlich war immer in der Mitte und bin das auch heute noch. Ich gelte nur deshalb plötzlich als „rechts“ – und so ergeht es auch der AfD –, weil alle anderen nach links abmarschiert sind. Aber schauen wir doch mal, was die AfD eigentlich will: Sie will sehr viele grundlegende Dinge ändern – ich habe ja schon vorhin einiges aufgezählt. So gesehen sind wir also alles andere als eine konservative, sondern wir sind eigentlich eine geradezu revolutionäre Partei.

Sie gehören bekanntlich zum liberalen Flügel der AfD, der ...

Henkel: Meinen Sie? In der Partei gibt es Pluralismus, es gibt inhaltlich solche und solche Momente, aber ich sehe nicht, daß sich da zwei Flügel gegenüberstehen.

Fühlen Sie sich als Liberaler nicht manchmal einsam in der Partei?

Henkel: Gar nicht, in einigen Punkten bin ich anderer Meinung, aber das ergeht einem in allen Volksparteien so, die die AfD ja letztlich auch ist.

Der „Spiegel“ meint, daß Sie sich nur deshalb dort engagieren, weil sie den Bedeutungsverlust nach Ihrem Rückzug als BDI-Präsident nicht ertragen konnten.

Henkel: Ach wissen Sie, das höre ich, seit ich 2001 den BDI-Vorsitz abgegeben habe. Egal was ich danach gemacht habe, ob ich mich als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft oder an der Universität Mannheim oder für den Konvent für Deutschland engagierte, immer hieß es, ich wolle mich nur wichtig machen, im Rampenlicht stehen oder gar Geld verdienen, obwohl ich dafür gar kein Geld bekommen habe. Journalisten können sich offenbar nicht vorstellen, daß es noch Menschen gibt, die etwas mit Leidenschaft und aus Überzeugung tun – immer muß für sie ein niederer Beweggrund dahinterstecken.

Der „Cicero“ sagt voraus, die AfD werde scheitern, weil ihr eine Vision fehle.

Henkel: Daß ich nicht lache! Wir sind doch die einzige Partei, die überhaupt eine Vision für Europa hat! Sehen Sie sich unser Europaprogramm an. Viele Bürger machen sich nicht klar, daß im Zuge der Euro-Rettungspakete weiterer Zentralismus in der EU unausweichlich ist. Wir dagegen sind für ein Europa der Freiheit, der Demokratie und der Eigenverantwortung. Konkret: Wir sind für ein Europa souveräner Staaten, ein Europa der Vielfalt, und wir sind für eine schlankere und demokratischere EU! Das ist doch wohl eine Vision! Jetzt aber schauen wir uns mal die Visionen der Altparteien an, etwa der SPD: Da heißt es auf den Plakaten von Spitzenkandidat Martin Schulz: „Für ein Europa der Menschen und nicht des Geldes.“ Ach ja? Dann sollte der Cicero ihn doch mal fragen, warum er die unterschiedlichen Kulturen in Europa den Erfordernissen einer Einheitswährung unterordnet!

Auch Schill-Partei und Piraten haben einst gewaltig angefangen. Droht der AfD nicht vielleicht dennoch das Scheitern?

Henkel: Ich glaube, die Partei ist nach einer Krise im Winter, in der ich mir in der Tat Sorgen gemacht habe, nun über den Berg. Und ich vertraue darauf, was Mahatma Gandhi einmal gesagt hat: Erst ignorieren sie dich, dann machen sie dich lächerlich, dann bekämpfen sie dich – und dann gewinnst du! Derzeit befindet sich die AfD in der dritten Phase – nach dem 25. Mai in der vierten.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, ist seit März Stellvertretender Parteisprecher der Alternative für Deutschland, der er im Januar beigetreten war. Lange galt der Publizist und ehemalige Manager als Deutschlands prominentester Euro-Rettungskritiker, der „seinem Ruf als eisenharter Klartext-Redner alle Ehre macht“ (Der Tagesspiegel). Bekanntheit erlangte er von 1995 bis 2000 als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), als häufiger Talkshowgast, Bild-Zeitungskolumnist und Buchautor mit Titeln wie „Die Macht der Freiheit“ (2000), „Kampf um die Mitte. Mein Bekenntnis zum Bürgertum“ (2007), „Rettet unser Geld! Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“ (2011) oder „Die Euro-Lügner. Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken“ (2013). Thilo Sarrazin empfahl „Rettet unser Geld“ mit den Worten: „Man möchte es zur Pflichtlektüre für jeden Bundestagsabgeordneten machen, damit der Regierung endlich die richtigen kritischen Fragen gestellt werden.“ Geboren wurde der ehemalige IBM-Manager, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft und Mitbegründer des Konvents für Deutschland 1940 in Hamburg.

Foto: Wahlkämpfer Henkel: „Wir sind doch die einzige Partei, die noch eine Vision für Europa hat. Denn die Euro-Rettung wird zu immer mehr EU-Zentralismus führen. Wir dagegen sind für ein Europa der Freiheit, der Demokratie und der Eigenverantwortung.“

 

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