© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Gericht schafft Recht auf Vergessen
Suchmaschinen: Wie ein Spanier einen der spektakulärsten Prozesse gegen Google gewann
Christian Schreiber

Europas Bürger können künftig ein Recht auf Vergessen im Internet geltend machen. Der Europäische Gerichtshof hat in der vergangenen Woche ein weitreichendes Urteil gefällt. Google muß Verweise aus seiner Ergebnisliste entfernen, wenn der Link zu personenbezogenen Informationen führt und der oder die Genannte damit nicht einverstanden ist.

Google zeigt sich enttäuscht und fürchtet eine Klagewelle

Daß ausgerechnet ein unbekannter Spanier einem miiliardenschweren Konzern einen so empfindlichen Schlag versetzen kann, ist eine Sensation. Mario Castejo, ein Handschriftengutachter aus La Coruña, hatte ein Problem. Sein Name wurde 1998 in einer Zeitung im Zusammenhang mit einer Immobilienpfändung genannt. Das Archiv von La Vanguardia wurde digitalisiert und von Googles-Suchrobotern indiziert – seine „Wohnungsaufgabe“ sah Castejo für immer und ewig im Netz dokumentiert.

Für ihn eine Rufschädigung. Er beschwerte sich 2010 bei der spanischen Datenschutzagentur AEPD, die seine Einschätzung teilte. Als Reaktion auf diese Entscheidung klagte Google vor dem spanischen Obergericht. Dieses wiederum forderte nun vom EuGH, die Auslegung der EU-Datenschutzrichtlinie zu klären. Dieser schrieb in seiner Begründung, daß mit der Eingabe eines Namens bei einer Suchmaschine ein Nutzer „ein mehr oder weniger detailliertes Profil der gesuchten Personen erstellen“ könne. Dies sei ein Eingriff in die Rechte der Person.

Google, so sehen es die Richter, lese nicht nur Daten aus, sondern speichere, organisiere und bewahre diese auf eigenen Servern, auf denen sie von Nutzern gefunden werden könnten. Da Google als rechtlich Verantwortlicher und Besitzer der Suchmaschine allein über die Verarbeitung entscheide, entstehe daraus aber auch eine Verantwortung für die Suchergebnisse. Somit ist künftig nicht nur der Betreiber einer Internetseite für den Inhalt verantwortlich, sondern auch der Suchmaschinenbetreiber, der die Daten verarbeitet und den Internetnutzern über die Verlinkung zur Verfügung stellt.

In einer ersten Stellungnahme äußerte sich Google verärgert über das Urteil: „Dies ist ein sehr enttäuschendes Urteil für Suchmaschinenbetreiber und Online-Verleger.“

Politiker und Verlage sind zufrieden mit dem Urteil

Das Unternehmen hatte während des Verfahrens argumentiert, es sei laut EU-Datenschutzrichtlinie nicht verantwortlich dafür, daß personenbezogene Daten auf den jeweiligen Webseiten gemäß der Richtlinie verarbeitet werden. Google könne nicht einmal zwischen personenbezogenen und anderen Daten unterscheiden.

Deshalb könne auch eine nationale Datenschutzbehörde die Suchmaschine nicht verpflichten, bestimmte Informationen aus ihrem Index zu entfernen. Internetexperten rechnen nun mit einer Klagewelle, und es könne nicht nur darum gehen, unberechtigt ins Netz gestellte Inhalte entfernen zu lassen. Denn Google – und die kleinere Konkurrenz wie Yahoo oder Altavista – werden künftig selbst dann Daten löschen müssen, wenn sie von anderen Webseitenbetreibern rechtmäßig erhoben wurden und weiterhin öffentlich zugänglich sind. So war es auch im Fall des Spaniers Castejo.

La Vanguardia hatte den Artikel rechtmäßig ins Netz gestellt. Dennoch gibt es nun das „Recht auf Vergessen.“ Weigere sich Google, kann sich der Betroffene an die Datenschutzbehörden wenden. Ausnahmen kann es nach Ansicht des EuGH lediglich bei Personen des öffentlichen Lebens geben, bei denen ein besonderes Interesse bestehe.

Politiker und Verlage äußerten sich überwiegend zufrieden mit dem Urteil. Justizminister Heiko Maas sagte der Nachrichtenagentur dpa, „daß die Entscheidung die Datenschutzrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern im Internet stärkt“. Dem Grundrecht auf Datenschutz sei erneut ein hoher Stellenwert eingeräumt worden. Dennoch gibt es auch kritische Anmerkungen.

Wikipedia möglicherweise als nächstes fällig

Vor allem die Tatsache, daß auch rechtmäßig erstellte Sucheinträge auf Verlangen herausgefiltert werden können, stößt nicht überall auf Gegenliebe: „Starke Persönlichkeitsrechte sind unverzichtbar“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, „insbesondere dann, wenn die Intimsphäre betroffen ist“. Das Urteil dürfe aber nicht als Einschränkung der Berichterstattung ausgelegt werden. „Suchmaschinen sind wichtige Rechercheinstrumente für Journalisten, die nach dem Urteil nicht als Quelle versiegen dürfen“, sagte er Bild.

Auch aus den Vereinigten Staaten kam teilweise harscher Protest. Jimmy Wales, Gründer von Wikipedia, äußerte sich in einem Interview mit der BBC bestürzt. „Das ist eines der weitreichendsten Internet-Zensur-Urteile, das ich je gesehen habe.“ Sein Protest dürfte daraus resultieren, daß auf sein Angebot eine ähnliche Klage zukommen könnte. Wales zweifelt außerdem die Umsetzbarkeit des Urteils an. Internetnutzer könnten sich „über etwas beschweren und einfach behaupten, es sei irrelevant, und Google muß dann eine Entscheidung treffen. Das ist sehr schwer für Google, vor allem da das Risiko besteht, daß es rechtlich haftbar gemacht wird, wenn es in irgendeiner Form falsch entscheidet.“

Mario Castejo darf sich auf jeden Fall als Sieger fühlen. Auch wenn ihm sicher bewußt wurde, daß sein Name nun auf alle Ewigkeit im Netz zu finden sein wird.

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