© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Europäische Zentralbank erwägt Minuszinsen
Ein Offenbarungseid
Michael von Prollius

Was bedeutet es, wenn die EZB auf ihrem Ratstreffen am 5. Juni den Leitzins auf Null und den Einlagenzins für Guthaben der Geschäftsbanken bei der EZB auf -0,1 Prozent senken wird? In einer Marktwirtschaft bildet sich der Zins als Verhältnis zwischen der Präferenz zu konsumieren oder zu sparen heraus. Je mehr Menschen bereit sind, auf gegenwärtigen Konsum durch Sparen zu verzichten, desto niedriger ist der Zins. In einer Marktwirtschaft ist der Zins ein Signal: Die gebündelten Präferenzen von Millionen von Menschen zeigen, ob sich Investitionen lohnen. Steht viel gespartes Kapital zur Verfügung, dann sind die Zinsen niedrig und mehr Vorhaben werden finanzierbar. In einem marktwirtschaftlichen Geldwesen gibt es keinen negativen Zins.

Im herrschenden Geldsystem setzt eine Behörde – die Zentralbank – den Leitzins fest. Sie steuert statistische Konstrukte wie das Preisniveau und die Geldmenge; die Kreditvergabe soll wachsen. Die Folgen solcher Anmaßung sind aus dem real existierenden Sozialismus bekannt. Niedrigst- und Negativzinsen bedeuten, daß Sparer verlieren, Schuldner profitieren, Staatsverschuldung erleichtert wird. Der wache Bürger spürt den Offenbarungseid hinter den ablenkenden Absichtserklärungen.

 

Dr. Michael von Prollius ist Wirtschaftshistoriker. www.forum-ordnungspolitik.de

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