© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Neuer Anlauf
Marcus Schmidt

Am Ende mußte sich Hartfrid Wolff noch einmal rüffeln lassen. „Es ist Wahlkampfzeit“, sagte die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau (Linkspartei), in Richtung ihres Parlamentskollegen. Dieser hatte bei der Vorstellung des Abschlußberichtes des NSU-Untersuchungsausschusses im August vergangenen Jahres wiederholt gefordert, in der neuen Legislaturperiode wieder einen NSU-Ausschuß einzusetzen. Doch wie immer erntete der FDP-Politker damals von seinen Kollegen Kopfschütteln.

Nun kann sich der Ex-Parlamentarier Wolff bestätigt fühlen. Abseits des seit einem Jahr laufenden NSU-Prozesses in München geht die parlamentarische Aufklärungsarbeit in die zweite Runde. In der vergangenen Woche setzte der hessische Landtag einen Untersuchungsausschuß ein, es ist nach Sachsen, Thüringen und Bayern der vierte auf Länderebene – und wahscheinlich nicht der letzte. In Nordrhein-Westfalen mehren sich Stimmen, die einen eigenen Ausschuß fordern, um die Ereignisse in Köln und Dortmund zu untersuchen. Dort sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwei Bombenanschläge und einen Mord verübt haben. Auch in Baden-Württemberg, wo den mutmaßlichen Rechtsterroristen der Mord an Michèle Kiesewetter zugeschrieben wird, verstummt die Forderung nach einer Untersuchung nicht.

Und in Berlin bröckelt die ablehnende Haltung von Wolffs Ex-Kollegen aus dem NSU-Ausschuß. Demonstrativ gemeinsam erschienen Pau, Clemens Binninger (CDU) und Eva Högle (SPD) am Mittwoch vergangener Woche, als Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in Berlin sein Buch zur Mordserie präsentierte („Heimatschutz: Der Staat und die Mordserie des NSU“). Seine These: Der Verfassungsschutz hat gezielt zu vertuschen versucht, wie nahe er dem NSU wirklich auf der Spur war.

Wie aktuell die Diskussion ist, zeigte sich am vergangenen Donnerstag, als die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages unter dem Vorsitz von Binninger die Akten des Verfassungsschutzes zu den V-Leuten „Corelli“ und „Tarif“ anforderten. Die Geheimdienstkontolleure hatten sich zuvor durch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Generalbundesanwalt Harald Range über den Tod von Thomas R. informieren lassen. Dieser hatte jahrelang unter dem Decknamen „Corelli“ als V-Mann über die rechtsextremistische Szene berichtet. Ende April wurde R. in seiner Wohnung tot augefunden. Nach Angaben der Behörden war der 39jährige an den Folgen einer nicht erkannten Diabeteserkrankung gestorben. Thomas R. kannte offenbar auch Uwe Mundlos. Die Frage, was „Corelli“ über den NSU wußte, konnte nie abschließend geklärt werden.

„Der Verdacht, der Untersuchungsausschuß werde hingehalten oder ausgebremst, war stets präsent und erhält nunmehr neue Nahrung“, sagte Pau nach dem Tod „Corellis“ mit Blick auf den NSU-Ausschuß. Wiederholt sei versucht worden, „Corelli“ aus dem Fokus des Gremiums zu nehmen. Nicht nur aus Sicht von Pau Grund genug, einen neuen Anlauf zu nehmen.

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