© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Reichsadler packt Erzengel
Ungarn: Ein von der Regierung Orbán in Auftrag gegebenes Besetzungsdenkmal erregt die Gemüter
Reinhard Liesing

Seit die Polizei Proteste sogenannter Antifaschisten gegen das im Bau befindliche Besetzungsdenkmal dadurch beendete, daß sie diese von der Baustelle wegtrug, ist dessen zwei Wochen andauernde Besetzung beendet. Gleichwohl verstummen die verbalen Auseinanderseztungen über das höchst umstrittene Besetzungsdenkmal auf dem Szabadság tér (Freiheitsplatz) im Zentrum Budapests nicht.

Im Gegenteil: das Klagelied der Protestierenden hält sich auf hohem Niveau. Diese erhalten nicht nur von der in der Parlamentswahl dem abermals mit Zweidrittelmehrheit bestätigten Regierungschef Viktor Orbán unterlegenen linken Opposition, besonders von den – noch einmal dezimierten – Sozialisten, sondern auch von außen Zuspruch.

Deutsche Botschaft kritisiert Orbáns Alleingang

So bedauerte die Deutsche Botschaft in Budapest in einer Mitteilung gegenüber der Budapester Zeitung (BZ), daß die Entscheidung für den Bau des Denkmals „sehr schnell und ohne breite Diskussion herbeigeführt“ worden sei. Deutschland sei sich „seiner Verantwortung für Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs sehr bewußt“ und nehme „dazu seine Verantwortung wahr – auch was die Verbrechen in Ungarn“ angehe, unterstrich die Botschaft, gab jedoch zu bedenken, daß die „Verantwortung“ für die Gedenkorte in Ungarn „grundsätzlich bei der ungarischen Regierung“ liege.

Doch Orbán ließ sich davon letztlich nicht beeindrucken. Verschärft hatte er die Situation allerdings dadurch, daß er – trotz einer Art Moratoriumszusage vor der Wahl – unmittelbar danach das Zeichen für die sofortige Errichtung des Denkmals gab.

Eigentlich sollte das Mahnmal bereits zum 70. Jahrestag der „Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen“ – so die von Regierungsseite vorgegebene Lesart – errichtet sein und am 19. März dieses Jahres eingeweiht werden. Die Terminierung war nach ersten in- und ausländischen Protesten mit der regierungsamtlichen Begründung auf den 31. Mai verschoben worden, es seien „die Umstände und Vorbereitungen nicht entsprechend gediehen“.

Stichtag war dann die Parlamentswahl am 6. April. Das amtlich beglaubigte Wahlergebnis lag noch nicht vor, dennoch, so die BZ, ließ Ministerpräsidet Orbán bereits die „Muskeln spielen. Nur zwei Tage nach der Parlamentswahl machte sich ein Trupp aus etwa 15 Arbeitern zum Szabadság tér auf, um die Errichtung des umstrittenen Besetzungsdenkmals zum Gedenken an den Einmarsch Nazi-Deutschlands am 19. März 1944 zu beginnen.“

Das Denkmal zeigt bekanntgewordenen Skizzen zufolge den deutschen Reichsadler, der sich auf den Ungarn symbolisierenden Erzengel Gabriel stürzt, womit die Besetzung Ungarns 1944 versinnbildlicht und der vermeintliche magyarische Opfergang wachgehalten werden soll.

Für mehr als zwei Dutzend ungarische Historiker erweist sich das Denkmal als Mittel der Geschichtsfälschung. Krisztián Ungváry beispielsweise – seinerzeit auch in Deutschland wegen seiner Hinweise auf gefälschte Bilder in der vom Hamburger Tabakimperium-Nachkommen Jan Philipp Reemtsma verantworteten Wanderausstellung über angebliche Verbrechen der Wehrmacht – wies mehrfach darauf hin, daß das Einrücken von Wehrmachtsverbänden seinerzeit gänzlich ohne Widerstand oder Schußwechsel vonstatten ging, von einer Besetzung eigentlich gar nicht die Rede sein könne. Ungváry und auch anderen Historiker zufolge würde eine – bisher ausgebliebene – Stellungnahme der Ungarischen Akademie der Wissenschaften den Bau des Denkmals sicher ablehnen.

Der Ruf der Sozialisten nach einem Referendum über die Denkmalserrichtung blieb übrigens folgenlos.

Gemäß Verlautbarung der – von den Sozialisten abgespaltenen – linksliberalen Partei „Demokratische Koalition“ des ehemaligen Ministerpräsidenten, Sozialisten-Chefs und Forint-Milliardärs Ferenc Gyurcsány „verwischt das Denkmal die Erinnerung an die Opfer und auch an die Massenmörder“. Es sei somit, so Gyurcsány, eine „Geste der Regierung an die Rechtsextremen“.

Nach Ansicht des „Ungarischen Verbandes Jüdischer Gemeinden“ (Mazsihisz) bezweckt das Denkmal „die Darstellung der damaligen Machthaber Ungarns als personifizierte Unschuldige“, dies aber „zu Unrecht“. Gemeint sind hier in erster Linie Reichsverweser Admiral Miklós Horthy sowie Regierungschef Döme Sztójay. Mazsihisz hatte wegen des Denkmalsprojekts die Regierungsveranstaltungen zum 70. Holocaust-Gedenkjahr boykottiert.

Horthys Rolle in der Endphase des ungarisch-deutschen Verbündetenverhältnisses ist umstritten. Von 1944 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren – trotz Horthys Einspruch und seiner Fühlungnahme zu den Alliierten, weshalb ihn die Pfeilkreuzler-Regierung des Ferenc Szálasi entmachtete – nahezu 600.000 ungarische Juden in Vernichtungslagern ermordet worden. Deren Deportation in die Todeslager hätte ohne tätige Mithilfe des damaligen ungarischen Staats- und Beamtenapparats allerdings nicht vollzogen werden können – deshalb, so die Ansicht der Kritiker, sei der vom Denkmal vorgegeben „ungarische Opfermythos“ nichts anderes als Geschichtsfälschung.

Foto: Protest vor der Baustelle des Denkmals, das an die deutsche Besetzung erinnern soll: Zwei Dutzend Historiker wittern Geschichtsfälschung

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