© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Spaniens ARD steht vor dem Aus
Staatsfernsehen: Wie die Regierung in Madrid eine Rundfunkanstalt gegen die Wand fährt
Michael Ludwig

Spaniens öffentliche Radio- und Fernsehanstalt RTVE steht am Rande des Bankrotts. Der Sender hat einen Schuldenberg von inzwischen über 800 Millionen Euro angehäuft. Da das Stammkapital 1,5 Milliarden Euro beträgt und nach spanischem Recht nicht mehr als die Hälfte davon aufgebraucht werden darf, scheint der Gang zum Konkursrichter unvermeidlich. Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy erwägt nun, mit einem Notkredit in Höhe von 120 Millionen die drohende Abschaltung von RTVE vorerst zu verhindern.

Jeder Spanier schaut vier Stunden Fernsehen am Tag

Für die spanische Bevölkerung ist es völlig unvorstellbar, daß sie die zahlreichen öffentlichen Radio- und Fernsehprogramme nicht mehr empfangen kann. Auf der Iberischen Halbinsel hat sich Fernsehen als die wichtigste Freizeitbeschäftigung etabliert. Vier Stunden durchschnittlich verbringt ein Spanier jeden Tag vor dem Fernseher, ein Wert, der zu den höchsten weltweit zählt. Längst haben, wie im übrigen Europa auch, die bewegten Bilder dem gedruckten Wort in der Tagespresse den Rang abgelaufen – während die Auflagen der Zeitungen auf breiter Front kontinuierlich sinken, steigen die Einschaltquoten vor allem bei den kommerziellen privaten TV-Anstalten.

Wie aber konnte es bei RTVE überhaupt so weit kommen? Natürlich spielt das Programmangebot eine gewichtige Rolle. Die privaten Sender locken den Konsumenten vor allem mit sinnlichen Reizen – die Ausschnitte der durchweg attraktiven Moderatorinnen sind dort in der Regel etwas tiefer angesetzt, die Busen wogender, die Röcke kürzer, und die Themen und Kommentare seichter und schlüpfriger als im Staatsfernsehen. Das aber trieb RTVE nicht in die bevorstehende Pleite, die vor allem politisch grundiert ist.

Die sozialistische Regierung unter Jose Luis Rodriguez Zapatero entschied 2009, daß das staatliche Fernsehen keine Werbung mehr ausstrahlen darf. Die dadurch entstandene Finanzierungslücke wurde durch staatliche Zuschüsse aufgefüllt. Als die wirtschaftliche Krise das Land mit voller Wucht erfaßte, beschloß Zapateros Nachfolger Rajoy, die staatlichen Mittel um 200 Millionen Euro zu kürzen. Damit brach das Finanzierungssystem von RTVE zusammen – seitdem wächst der Schuldenberg jedes Jahr um rund 100 Millionen Euro.

Die Auswirkungen waren und sind, was das Programmangebot und die Qualität betrifft, verheerend. Seit 2007 baut RTVE massiv Arbeitsplätze ab – etwa 40 Prozent der Mitarbeiter wurden bislang entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Mit derzeit 6.400 Beschäftigten hat das spanische Staatsfernsehen die niedrigste Mitarbeiterzahl aller öffentlich-rechtlichen Medienanstalten in Europa. Aufgrund der angespannten Finanzlage mußten einige hochdotierte Lizenzen für Sportübertragungen abgegeben werden, die regelmäßig zu höchsten Einschaltquoten geführt haben. So gingen beispielsweise die Übertragungsrechte für die stärksten Maschinen bei der Motorradweltmeisterschaft an den kommerziellen Rivalen Telecinco.

Die Quoten sanken, die Mitarbeiterzahl stieg

Ministerpräsident Rajoy und seine Berater suchen nun nach einem Ausweg aus der medialen Krise. RTVE-Verwaltungsratsmitglied Ruesga Santos hat sich dafür ausgesprochen, Werbung wieder zuzulassen. Augenblicklich ist es dem Staatssender erlaubt, vier Minuten pro Stunde für Eigenwerbung zu nutzen. Wenn ein Teil davon für Fremdwerbung abgezweigt würde, könnte RTVE zusätzliche Einnahmen von rund 100 Millionen Euro erwirtschaften. Allerdings müßten dafür geltende Gesetze geändert werden, was in Spanien erfahrungsgemäß sehr lange dauert.

Überhaupt – Politik und Medien scheinen in Spanien nicht sehr kompatibel zu sein. In der Provinz Valencia wurde Ende November vergangenen Jahres Canal Nou eingestellt, auch er eine öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanstalt.

Der Oberste Gerichtshof hatte die Kündigung von rund 1.000 der insgesamt 1.660 Beschäftigten für nicht rechtens erklärt. Daraufhin stoppte die Regionalregierung den Betrieb, denn sie wollte die rund 40 Millionen Euro, die Canal Nou jedes Jahr kostete, nicht länger zahlen. Offensichtlich herrschte dort eine nicht mehr zu übersehende Mißwirtschaft. Nach Angaben der Tageszeitung El Pais stieg die Zahl der Beschäftigten von 1995 bis 2012 von 687 auf 1.660, während im gleichen Zeitraum die Einschaltquoten von 21 auf zuletzt unter fünf Prozent gefallen sind.

Ärger gibt es auch bei Telemadrid. Der staatliche Sender hat in den letzten Jahren 861 Mitarbeiter entlassen, das sind 80 Prozent der Belegschaft. Sie stellen nun Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe. In erster Instanz haben sie bereits recht erhalten. Sollte das Urteil Bestand haben, könnte es für die Spanier teuer werden.

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