© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Fragwürdige Schuldbilder
Die Deutschen im Osten und ihr kulturelles Erbe
Heinz Fröhlich

Die Schlacht um Breslau dauerte vom 15. Februar bis zum 6. Mai 1945. Eine kommunistische Gruppe verteilte Mitte Februar in Breslau Flugblätter; man rief die Verteidiger der Stadt zur Kapitulation auf. „Habt keine Angst vor den Soldaten der Roten Armee“, denn die kämen als „Befreier“. Am Ende nützte auch den deutschen „Antifaschisten“ ihre Kollaboration mit den Sowjets nichts; auch sie mußten noch im Sommer 1945 Breslau verlassen.

Daß 14 Millionen Ostdeutsche, mochten sie das NS-Regime gestützt haben oder nicht, brutal vertrieben wurden, geschah auch, weil Polen und Tschechen bereits vor 1933 die Idee der Vertreibung hegten und pflegten. „Hitler“ war das scheinbar unwiderlegbare Alibi, das Politikern wie Edvard Beneš dann sehr gelegen kam.

Nur geringe Beachtung findet auch die massive Mitschuld der Westmächte an dem katastrophalen Exodus. Bereits 1942 signalisierten britische Politiker dem Sowjetführer Stalin, der für Polen die Oder-Neiße-Grenze gefordert hatte, ihr Einverständnis. Nicht zitiert wird Churchills berüchtigte Unterhausrede vom 15. Dezember 1944. Der englische Premierminister forderte die „total expulsion“ aller Ostdeutschen. Churchill lobte dabei sogar die Effektivität Stalins bei der Verschiebung ganzer Völker.

Aber die Verfasser des Sammelbandes ignorieren oder verharmlosen solche Hintergründe. Norbert F. Pötzl hält die Vertriebenen für „Hitlers letzte Opfer“, die den „Preis für die Verbrechen der Nazis“ hätten entrichten müssen. Damit übernehmen die Herausgeber unisono höchst fragwürdige Thesen einer Kollektivschuld.

In mehreren Essays wird die deutsche Ostsiedlung vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer thematisiert. Unter den Autoren besteht dabei Einigkeit, daß die Vertreibung der Deutschen jedoch nicht zu revidieren sei. Hinsichtlich der Grenzen stimmt diese These selbstverständlich. Doch wechselte gerade Schlesien oft den Besitzer; es gehörte zu Polen, Böhmen, Ungarn, Habsburg und Preußen/Deutschland. Zudem bleibt es sinnvoll, das östliche Mitteleuropa auch als integralen Teil der deutschen Vergangenheit zu betrachten, an das laut Christian Neef heute zum Beispiel im russischen Ostpreußen wieder erinnert wird.

Annette Großbongardt, Uwe Klußmann, Norbert F. Pötzl (Hrsg.): Die Deutschen im Osten Europas. Eroberer, Siedler, Vertriebene, DVA, München 2013, gebunden, 303 Seiten, 19,99 Euro

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